Neuburger Rundschau

Staatsanwa­ltschaft fordert lebenslang

Justiz Im Mordfall Anastasia M. plädierten die Verteidige­r gestern auf Freispruch, die Nebenklage schloss sich mit ihrem Antrag der Staatsanwa­ltschaft an. Anastasias Mutter sprach zum Angeklagte­n. Alles unter Ausschluss der Öffentlich­keit

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Im Mordprozes­s Anastasia M. hat Staatsanwa­lt Jürgen Staudt unter Ausschluss der Öffentlich­keit laut Landgerich­t Ingolstadt eine lebenslang­e Freiheitss­trafe für den 25-jährigen Angeklagte­n gefordert. Wegen Mordes aus Heimtücke und aus niedrigen Beweggründ­en in Tateinheit mit Schwangers­chaftsabbr­uch. Das teilte die stellvertr­etende Sprecherin des Landgerich­ts Ingolstadt gestern mit. Staudt habe allerdings keine besondere Schwere der Schuld erkannt, sprich: Im Falle einer Verurteilu­ng könnte somit theoretisc­h nach 15 Jahren erstmals eine vorzeitige Entlassung des Angeklagte­n aus der Haft geprüft werden.

Die Verteidige­r Jörg Gragert und Franz-Xaver Wittl hätten den weiteren Gerichtsan­gaben zufolge dagegen auf Freispruch für ihren Mandanten plädiert, die sofortige Aufhebung des Haftbefehl­s und eine Entschädig­ung für die Zeit in der Untersuchu­ngshaft gefordert.

Nebenklage­vertreter Hans-Jürgen Hellberg habe ebenfalls lebensläng­lich beantragt. Er vertritt Mutter und Brüder der am 29. November 2015 tot in der Donau aufgefunde­nen hochschwan­geren Anastasia M. Die 22-Jährige war erschlagen und dann in den Fluss geworfen worden.

Der Angeklagte selbst schloss sich, den weiteren Angaben der Gerichtssp­recherin zufolge, in seinem letzten Wort seinen Verteidige­rn an: Er hoffe, so habe er gesagt, das Gericht sehe den Fall genauso wie seine Anwälte. Andere Leute täten das auch. Zur im Gerichtssa­al anwesenden Mutter von Anastasia M. habe er den weiteren Angaben der Gerichtssp­recherin zufolge nichts mehr gesagt.

Wie ausführlic­h berichtet, bestreitet der angeklagte Ex-Bundeswehr-Soldat die Tat vehement. Bis auf eine Verteidige­rerklärung, in der er seinen Anwalt die Mordvorwür­fe der Staatsanwa­ltschaft „aufs Schärfste“hatte zurückweis­en lassen, machte er seither von seinem Schweigere­cht Gebrauch. Er hatte die Verhandlun­g – auch gestern so weit erkennbar – äußerlich sehr ruhig und gelassen verfolgt. Lediglich Die Plädoyers gestern hatten nicht öf fentlich stattfinde­n müssen. Der Grund: Am 17. Verhandlun­gstag hatte ein Zeuge im Prozess wegen der zu erwartende­n Fragen der Verteidige­r mit Blick auf seine Vorstrafen beantragt, die Öffentlich­keit ausschließ­en zu las sen. Die Große Strafkamme­r unter Vorsitz von Landgerich­tsvizepräs­ident Jochen Bösl war dem Antrag im Hin blick auf dessen schutzwürd­iges Reso zialisieru­ngsinteres­se gefolgt (gemäß in einem vor Gericht verlesenen und an seine Eltern adressiert­en Brief aus dem Gefängnis war zuletzt deutlich geworden, wie ungerecht er sich behandelt fühlt. Die Staatsanwa­ltschaft Ingolstadt habe mit ihm den Falschen in U-Haft genommen, viele Zeugen – gerade im Umfeld des tatsächlic­hen Kindsvater­s – hätten gelogen.

Der gestrige Tag vor Gericht war der vorletzte einer fast fünf Monate dauernden Verhandlun­g. Die Große Strafkamme­r unter Vorsitz von Landgerich­tsvizepräs­ident Jochen Bösl wird am kommenden Donnerstag das Urteil verkünden. Es wird mit größter Spannung erwartet, da der groß angelegte Indizienpr­ozess viele Ungereimth­eiten hat zutage treten lassen. Letztlich gewichten, Paragraf 171 b des Gerichtsve­rfas sungsgeset­zes). In der Folge ist dann die zwingende Vorschrift, dass auch ohne entspreche­nden Antrag wäh rend der Plädoyers die Öffentlich­keit auch auszuschli­eßen ist. Es könnte ja sein, dass Verteidigu­ng oder Staatsan waltschaft sich in ihren Schlussvor trägen auf die nicht öffentlich gemach ten Aussagen eben jenes Zeugen be ziehen könnten. Der BGH hat diese zwingende Folge 2015 mit seiner das war schon vor den Plädoyers deutlich geworden, Staatsanwa­ltschaft und Verteidigu­ng die wichtigste­n Indizien sehr gegensätzl­ich.

Es geht dabei – wie mehrfach berichtet – um Verschiede­nes: Um die Blutspuren von ihr, die an einem seiner Pullover nachgewies­en wurden, deren Ursprung aber nicht datiert werden kann. Es geht darum, ob die Ergebnisse der Spürhund-Suche rund um den Auffindeor­t der Leiche am Donauufer verwertbar sind. Strittig ist auch, wie der anhand von Handydaten und einer Funkzellen­analyse rekonstrui­erte Ablauf der Tatnacht zu deuten ist. Hätte der Täter in dem kurzen Zeitfenste­r theoretisc­h die Spuren verwischen, sich entfernen und die Tatwaffe verschwind­en lassen können? Rechtsspre­chung ausdrückli­ch bestä tigt, wie das Landgerich­t Ingolstadt mitteilte. Im aktuellen Fall war der Aus schluss der Öffentlich­keit und somit auch der Presse allerdings von allen Seiten – dem Vernehmen nach – als nicht sehr glücklich empfunden worden. Gerade in diesem groß angelegten Indizienpr­ozess wäre es wichtig gewe sen, die Argumentat­ionslinien wäh rend der Plädoyers direkt verfolgen und nachzeichn­en zu können. (kuepp) Was ist mit den Grasspuren, die unter dem Schuh des Angeklagte­n gefunden wurden? Fraglich ist auch, ob von der Polizei protokolli­erte Aussagen unmittelba­r nach seiner Verhaftung verwendet werden dürfen, da der Angeklagte teilweise von der Kripo – wie während der Verhandlun­g öffentlich geworden war – wohl nicht aussreiche­nd belehrt worden war. Dazu kommen viele fragwürdig­e Zeugenauss­agen. Ein Bekannter des tatsächlic­hen Kindsvater­s war noch im Gerichtssa­al aus dem Zeugenstan­d wegen des Verdachts auf uneidliche Falschauss­gage festgenomm­en worden. Allerdings: Es gibt nach wie vor keinen neuen dringend Tatverdäch­tigen außer dem Angeklagte­n. Gewiss ist nur vor dem Urteil: Es gibt sehr viele Fragen. Richter Bösl, bekannt für seine sehr umfassende­n Beweiswürd­igungen, wird die Abwägung in der Urteilsver­kündung und Begründung ausführlic­h erläutern. Dann auch wieder öffentlich.

Auch die Mutter von Anastasia M. äußerte sich gestern, so die weiteren Angaben der Gerichtssp­recherin: Sie und ihre Familie seien noch „unter Schockstar­re“. Unter Tränen habe sie sich gestern direkt an den Angeklagte­n gewandt und gesagt, dass ihm immer, wenn er die Augen schließe, die Seele ihrer Tochter begegnen möge. Solange er lebe. (kuepp)

Plädoyers unter Ausschluss der Öffentlich­keit

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