Wie Nazis nach 1945 in Bayern Karriere machten
Forschung Ein Projekt des Instituts für Zeitgeschichte soll NS-Verstrickungen in der Verwaltung aufarbeiten
München In Bayern soll nun erstmals der Einfluss von Beamten mit NaziVergangenheit auf die Arbeit von Ministerien und Behörden nach 1945 systematisch untersucht werden. Das renommierte Institut für Zeitgeschichte (IfZ) in München soll in den kommenden sechs Jahren in voraussichtlich acht Einzelstudien Kontinuitäten und Brüche von der NS-Zeit bis in das demokratische Bayern der 1970er Jahre aufarbeiten.
„Diese Arbeit wird nicht nur Angenehmes zutage fördern“, sagte Bayerns Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) bei der Vorstellung des Projekts in München. Die Arbeit sei aber notwendig, um „zu verstehen, auf welcher Basis staatliches Handeln im demokratischen Bayern entstand“.
In Gang gesetzt wurde das Projekt bereits 2012 durch eine Landtags-Initiative des Grünen-Abgeordneten Sepp Dürr. Daraus entstand im Sommer 2013 ein einstimmiger Beschluss aller Fraktionen des Landtags, der die Staatsregierung zur Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit aufforderte. Warum weitere dreieinhalb Jahre verstreichen mussten, bevor die Arbeit nun beginnen kann, wollte Spaenle, dessen Haus das Projekt mit 1,8 Millionen Euro fördert, nicht erklären. Hinter den Kulissen ist aber von zähen Streitigkeiten etwa über die Zusammensetzung der begleitenden Experten-Kommission zu hören.
In einer ersten Phase sollen nun die Staatskanzlei und die generelle Personalpolitik der Ministerialbürokratie, das Finanzministerium und der Umgang mit belastetem NaziErbe, das Landeskriminalamt und der Verfassungsschutz sowie das öffentliche Gesundheitswesen durchleuchtet werden. Später sollen Polizei und Polizeiausbildung sowie die Personalpolitik in den Schulen folgen.
Eine reine „Nazi-Zählerei“, etwa ehemaliger NSDAP-Mitglieder, stehe dabei nicht im Mittelpunkt, erklärte der IfZ-Direktor Andreas Wirsching, der bis 2011 an der Universität Augsburg Inhaber des Lehrstuhls für Neuere und Neueste Geschichte war. Vielmehr soll durch die Verbindung von Karriereverläufen, Verwaltungspraxis und der individuellen Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit ein vielschichtigeres Bild entstehen. „Es geht darum, erstmals systematisch NS-Kontinuitäten aufzuarbeiten“, erklärt Wirsching. Eine der Kernfragen dabei lautet: Wie konnte der demokratische Neuaufbau beginnen mit vielen Beamten, die zumindest anfangs keine Demokraten waren? Historiker Wirsching plädiert zudem dafür, auch bei belastenden Erkenntnissen die betroffenen Spitzenbeamten offen beim Namen zu nennen.
Die Aufarbeitung sei eine wichtige Geste der Versöhnung gegenüber den Opfern des NS-Terrors und deren Nachfahren, erklärt Initiator Dürr. Sie könne aber auch aufzeigen, welche Nazi-Traditionen in Verwaltung oder Polizei nach 1945 weiterleben konnten. „Sich dieser Kontinuitäten bewusst zu werden, kann auch zur weiteren Demokratisierung Bayerns beitragen“, hofft Dürr.