Patient Krankenhaus?
Verdi will die Arbeitsbedingungen in Kliniken und bei Rettungsdiensten verbessern
Krankenhäuser sollen Menschen gesund machen. Bei den heutigen Arbeitsbedingungen aber machen sie so manchen Mitarbeiter krank. Und bringen so manche Krankenschwester in einen seelischen Konflikt. Auf der einen Seite arbeiten gerade in den Pflegeberufen viele Idealisten, die sinnvolle Arbeit am Menschen verrichten wollen. Auf der anderen Seite werden sie nicht selten mit Überstunden, kurzfristigen Arbeitszeitverschiebungen und überbordender Bürokratie überlastet. Die Gewerkschaft Verdi hat Mitarbeiter in Krankenhäusern bundesweit befragt und schlägt nun Alarm: „Wenn viele Mitarbeiter sagen, dass sie ihren Kindern den Beruf nicht empfehlen können. Dass sich 77 Prozent von ihnen nicht vorstellen können, bis zum Rentenalter durchzuhalten. Dass die Qualität am Patienten durch den hohen zeitlichen Druck leidet und oft nicht mal die Zeit bleibt, die Hände vor dem nächsten Patienten ordnungsgemäß zu desinfizieren, dann kann man die Zustände in manchen Kliniken erahnen.“Das sagt Arina Wolf. Und die Gewerkschaftssekretärin für das Gesundheits- und Sozialwesen im Verdi-Bezirk Ingolstadt, prangert damit gar nicht die Träger einzelner Krankenhäuser oder deren Leitung an. Die stünden mit dem Rücken zur Wand. „Schuld ist ein System, in dem der Freistaat die Finanzierungshilfen kürzt und Bund und Länder vor 20 Jahren eine Pflegepersonalregelung abgeschafft haben, ohne bis heute einen Ersatz zu schaffen.“
Fritz Kirchdorffer, Vertrauens- in den Kliniken Naturpark Altmühltal, berichtet: „Irgendjemand lebt immer noch in dem Wahn, dass wir zu viele Akutbetten haben. Dabei steigt gerade bei uns in der Region das Patientenaufkommen durch viele Faktoren: Alter, Zuwanderung, höhere Standards. Aber der Zuwachs an Pflegepersonal hinkt hinterher und wird oft durch Hilfskräfte statt durch Fachkräfte bewerkstelligt.“
Genesung und Betriebswirtschaft, das gehe nicht wirklich zusammen, sagt auch Werner Gloßner, Vertrauensmann in den Kliniken Naturpark Altmühltal und Mitglied des Fachbereiches Gesundheit: „Behandeln die Krankenhäuser mehr Patienten als vorher ausgehandelt, bleiben sie auf den Personalkosten dafür sitzen.“
Noch schlimmer scheint es – laut Verdi – bei den Rettungsdiensten zuzugehen: Bereitschaftsdienst über einen Zeitraum von 45 Stunden? Den gibt es eigentlich nicht mehr, außer er heißt „Arbeitsbereitschaftsdienst“und findet bei den Rettungsdiensten statt. Zwölf Stunden am Stück? Geht, wenn an der Arbeitsstelle insgesamt für drei Stunden arbeitsfreie Zeit gesorgt wird. Till Schweisthal, Vertrauensmann beim BRK und Tarifkommissionsmitglied, berichtet über Einmann satzodysseen, weil Krankenhäuser sich überbelegt abmelden und noch nicht mal mehr Notfallpatienten aufnehmen können. „Dann fahren wir bis Regensburg.“Schweisthal gibt das Beispiel Reichertshofen: In den vergangenen neun Jahren hätten sich die Einsätze von damals durchschnittlich 5,6 Einsätzen pro Tag auf heute 9,3 Einsätze fast verdoppelt. Und das mit derselben Fahrzeug- und Personalstärke.
Die Gewerkschaft schlägt nun Alarm und stellt klare Forderungen: „Die gesetzliche Personalbemessung steht im Koalitionsvertrag, passiert ist in den letzten fünf Jahren nichts. Also müssen wir Personalvorgaben und Arbeitszeitregelungen im Tarifvertrag verankern.“Verdi will neben den betroffenen Mitarbeitern und Patienten die ganze Bevölkerung, aber auch die Politik an Bord holen. Denn das Vorzeige-Gesundheitssystem von einst wird bald selbst zum Patienten.
Eine Anfrage beim Bundesgesundheitsministerium zeigt, dass auch die Politik diesen Zustand des Gesundheitswesens erkannt hat. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe hat mit Vertretern der Koalitionsfraktionen und der Länder Schlussfolgerungen aus den Beratungen der Expertenkommission „Pflegepersonal im Krankenhaus“vorgelegt. Darin haben sich die Beteiligten auf Maßnahmen zur Verbesserung der Personalsituation in der pflegerischen Patientenversorgung verständigt. Zumindest in Krankenhausbereichen, in denen dies aus Gründen der Patientensicherheit besonders notwendig ist, sollen künftig Pflegepersonaluntergrenzen festgelegt werden, die nicht unterschritten werden dürfen.