Zu Besuch in Thomas Manns Villa
Neuerwerb Die Bundesrepublik kaufte das Exil-Anwesen des deutschen Literaturnobelpreisträgers in Los Angeles. Hier schrieb er aufrüttelnde Ansprachen und Bücher
Los Angeles Jetzt, da die Exil-Villa von Thomas Mann in Los Angeles/ Pacific Palisades durch die Bundesrepublik Deutschland für 12,5 Millionen Euro gekauft ist und behutsam für fünf Millionen Euro saniert werden soll, jetzt, da auch feststeht, dass darin womöglich schon ab Herbst 2017 die ersten Stipendiaten arbeiten werden, jetzt hat der deutsche Konsul von Los Angeles einigen Pressevertretern bei einer kleinen Führung das ehemalige Anwesen der Familie Mann vorgestellt. Nach ihrer Emigration 1933 hatte diese dort – in Folge von Exil-Stationen in Frankreich, der Schweiz und im Osten der USA – zwischen 1941 und 1952 gelebt.
„1550 San Remo Drive“– eine Villa im Dornröschen-Schlaf. Das von der Straße kaum einsehbare Anwesen mit üppigem Garten, Pool und drei hohen Palmen besitzt eine bewegte Geschichte. Erst hatten die Manns zur Miete in einem Haus am Amalfi Drive gewohnt, dann bezogen sie ihren Neubau am San Remo Drive. Das Viertel hier in Hanglage über dem Pazifik heißt „Riviera“. Die Straßen sind nach Orten am Mittelmeer benannt – darunter auch Capri, Monaco, Sorrent. Eine teure, ruhige Wohngegend. Zur Zeit residieren in der Nähe Filmstars wie Goldie Hawn, Ben Affleck und Matt Damon. Wer hier lebt, scheint es etwas weniger protzig zu mögen als die Reichen von Beverly Hills, Bel Air und den Hügeln Hollywoods.
Die Einfahrt führt unter knorrigen Bäumen auf einen kleinen Hof mit geduckter Garage und Carport. Das Haus ist von vorne in seiner Größe kaum abzumessen und auch von hier aus vor lauter Pflanzen kaum zu sehen. Ursprünglich schmückten das Grundstück, dessen Aussicht Richtung Pazifik im Laufe vieler Jahre zuwucherte, sieben Palmen, weshalb es auch „Seven Palms“hieß, als der 1875 in Lübeck geborene Literaturnobelpreisträger mit seiner Familie hier lebte. Im Garten wartet ein himmelblauer Pool. Die Terrasse ist heute größtenteils überdacht; in den 40er und 50er Jahren war dies noch nicht so. Fast über die ganze Hauslänge erstreckt sich im ersten Stock eine Veranda. Im Obergeschoss des Hauses (etwa 200 Quadratmeter) gibt es mehrere kleine Räume, die als Schlafzimmer dienten. Im Erdgeschoss (etwa 300 Quadratmeter) breitet sich dagegen ein großes Wohnzimmer mit Glasfront gen Garten aus. Auch die Küche ist hier.
Im Parterre findet der Besucher auch den historisch wichtigsten Raum, das Arbeitszimmer Thomas Manns mit dunklen Holzregalen. Von hier konnte der Literat über eine kleine Treppe direkt ins eigene, von seiner Frau getrennte Schlaf- gehen. In diesem Büro erarbeitete der Nazi-Regime-Gegner während der Kriegsjahre unter anderem seine BBC-Radioansprachen „Deutsche Hörer!“. Zudem schrieb er hier Teile seiner Werke „Joseph, der Ernährer“und „Der Erwählte“, sowie den Künstler- und Katastrophenroman „Doktor Faustus“, über den er viel mit dem Philosophen und Musiktheoretiker Theodor W. Adorno korrespondierte, der ebenfalls im Exil in Los Angeles lebte, längere Zeit nur etwa drei Meilen entfernt.
Entworfen wurde das zweigeschossige Haus, dessen Grundriss an einen kantigen Bumerang erinnert, vom Bauhaus-Architekten Julius Ralph Davidson. „Dieses Haus er- baute Thomas Mann. Er wohnte hier mit seiner Frau Katia und seinen Kindern Erika, Klaus, Golo, Monika, Elisabeth und Michael von 1941 bis 1952“, steht in Deutsch und Englisch auf einer Plakette, die die Bundesrepublik bereits 1977 stiftete. Sie hing viele Jahre neben der Haustür und soll dies bald wieder tun. Nach den Manns lebten hier jahrzehntelang der kalifornische Anwalt Chet Lappen und seine Frau Jon, denen das kulturelle Erbe ihrer Immobilie bewusst und auch lieb war. Fremde, die an der Tür klingelten, weil sie Thomas Manns Exil-Adresse aus seinen Tagebüchern kannten, wiesen sie nicht ab.
Nach dem Tod von Chet Lappen und dem Auszug seiner Frau in ein Altenheim, war das Haus in den vergangenen Jahren als Mietobjekt auf dem Markt. Zuletzt war die Kupferplakette mit der Profilansicht von Thomas Mann abgehängt. Eine auf Luxusanwesen spezialisierte Makzimmer ler-Firma hatte die Villa im Angebot und wollte mögliche Käufer offenbar nicht mit dem kulturellen Erbe abschrecken. Als in Deutschland bekannt wurde, dass das Haus, das keinen Denkmalschutz genießt, zum Verkauf steht, ging die Angst um, ein Investor könne es kaufen und abreißen, um einen lukrativeren Neubau hinzustellen.
Bundespolitiker und auch eine unter anderem von Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller unterstützte Online-Petition setzten sich dafür ein, dass Deutschland das Thomas-Mann-Haus erwirbt. Nach aufwendigen Verhandlungen im Auftrag des damaligen Außenministers und baldigen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier geschah dies dann auch. Die ersten Stipendiaten sollen sich ab Herbst mit Themen wie Identität, Migration, Flucht und Exil beschäftigen und den transatlantischen Dialog stärken.
In Korrespondenz mit dem Musiktheoretiker Theodor W. Adorno