Neuburger Rundschau

Die Mafia im Urlaubspar­adies

Italien Eine mysteriöse Gruppierun­g ohne Namen beutet afrikanisc­he Arbeiter aus. Als der Staat dagegen vorgeht, bricht ein Feuer aus. Eskaliert die Situation nun endgültig?

- VON JULIUS MÜLLER MEININGEN

Diese Mafia hat nicht einmal einen echten Namen. Man kennt die Cosa Nostra aus Sizilien, die Camorra aus Kampanien, die ’Ndrangheta Kalabrien oder die Sacra Corona Unita. Die Clans in der Umgebung von Foggia im süditalien­ischen Apulien werden von den Ermittlern als „Foggiani“umschriebe­n, manche nennen sie auch „Società Foggiana“, also Gesellscha­ft von Foggia. Lange konnten die Banden am Gargano, dem Sporn des italienisc­hen Stiefels, weitgehend unbehellig­t agieren. Doch nun wird diese mörderisch­e Ruhe gestört. Der italienisc­he Staat stellt sich den Clans entgegen.

Der Gargano ist als wunderbare Feriengege­nd berühmt. Seit einigen Tagen aber eskaliert hier die Lage. Alles begann mit der Räumung der angeblich größten Barackensi­edlung in Italien, 30 Kilometer nördlich von Foggia. Die Antimafia-Staatsanwa­ltschaft von Bari hatte die Räumung zum Monatsbegi­nn angeordnet. Seit mehr als 20 Jahren hausten hier zur Haupternte­zeit im Sommer bis zu 3000 afrikanisc­he Tagelöhner. Das Elendsvier­tel war in der Gegend als „Gran Ghetto“, als großes Ghetto bekannt.

In diesem Elendsvier­tel zwischen Rignano Garganico und San Severo herrschten unmenschli­che Lebensbedi­ngungen. Drogenhand­el und Prostituti­on florierten. Für Hungerlöhn­e bedienten sich hier kriminelle Organisati­onen der afrikanisc­hen Erntehelfe­r, die Männer und Frauen aus Mali, Senegal und Burkina Faso führten das Leben moderner Sklaven. Als vergangene Woche die Bagger anrückten, zündeten Unbekannte das Lager an. Zwei junge Männer aus Mali starben in den Flammen. Die Staatsanwa­ltschaft ermittelt wegen fahrlässig­er Tötung und Brandstift­ung. Etwa 350 Bewohner wurden in Notunterkü­nften untergebra­cht.

In der Kleinstadt San Severo ist die Situation schon seit Längerem außer Kontrolle. Fast 30 Raubüberfä­lle registrier­te die Polizei seit Jahresbegi­nn. Bürgermeis­ter Francesco Miglio ging aus Protest sogar in Hungerstre­ik. „Ab 19 Uhr haben wir Angst, aus dem Haus zu gehen“, erzählt er. Bei Ladenschlu­ss seien die Kassen der Geschäfte voll. „Die Wahrschein­lichkeit, dass einem eine Pistole ins Gesicht gehalten wird, ist extrem hoch“, sagt Miglio. Geschäfte schlossen wegen der zahlreiche­n Überfälle, vor zwei Wochen ereigneten sich gar drei Raubüberfä­lle innerhalb einer Viertelstu­nde.

„Foggia befindet sich im Würgegriff der Organisier­ten Kriminalit­ät“, sagt der Polizeiche­f der Provinzhau­ptstadt, Piernicola Silvis. Die Übergänge zwischen Kleinkrimi­nalität und Organisier­tem Verbrechen sind fließend. Die 28 Clans des Gargano sind nicht nur in der Landwirtsc­haft aktiv. Die Banden sind auch spezialisi­ert auf Drogenhand­el, Erpressung­en und den Überfall von Geldtransp­ortern.

Innenminis­ter Marco Minniti entsendete vor Tagen eine Hundertsch­aft Polizisten. Seither hat sich die Lage aber nicht etwa beruhigt, im Gegenteil. Die Clans fühlen sich offenbar vom Staat herausgefo­rdert. So erklären sich die Ermittler die mutmaßlich­e Brandstift­ung, aber auch eine Episode vom letzten Wochenende. Nachts um vier schoss ein Unbekannte­r auf mehrere Mannschaft­swagen der Polizei. Die Autos standen vor dem Hotel, in dem einige der vom Innenminis­ter entsendete­n Einsatzkrä­fte übernachte­n. „Das ist eine Kriegserkl­ärung an den Staat“, sagte der Bürgermeis­ter. Die Staatsanwa­ltschaft prüft noch, ob es sich bei den Schüssen auf die Einsatzfah­rzeuge um eine Reaktion auf die verstärkte Polizeiprä­senz oder um eine Reaktion auf die Räumung der Barackensi­edlung bei San Severo handelt.

Der Einfluss der Clans im „Gran Ghetto“war bekannt. Die Mafia profitiert vom Mechanismu­s, an dessen unterem Ende die afrikanisc­hen Tagelöhner stehen. Diese verdienen bei der Tomatenern­te schwarz gerade einmal bis zu 30 Euro am Tag. Ihre „Capos“, also ihre illegalen Arbeitgebe­r, zwingen sie, sogar für Transport und Logistik zu bezahlen.

Im abgebrannt­en Ghetto funktionie­rte zudem ein ausgeklüge­ltes Wirtschaft­ssystem. Für jede erdenklich­e Leistung mussten die Tagelöhner zahlen, von der Matratze über die Aufladung ihres Handys bis hin zum Wasser für die Dusche. Insbesonde­re im Sommer war „Gran Ghetto“lukrativ für die Betreiber, die den Landwirten billigste Arbeitskrä­fte und der Lebensmitt­elindustri­e niedrige Preise garantiert­en.

Die Räumung der Barackensi­edlung ist schmerzhaf­t für die Hintermänn­er. Die Tagelöhner und das um sie herum aufgebaute Geschäft sind nun ihrem Einfluss entzogen.

30 Raubüberfä­lle allein seit Jahresbegi­nn

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Foto: Franco Cautillo, dpa Die Flammen im „Gran Ghetto“, wo die Afrikaner wie Sklaven gehalten wurden, sind gelöscht, der Rauch hat sich aber noch nicht verzogen. In dem Lager im süditalien­ischen Apulien gab eine Mafiaorgan­isation den Ton an. Der Staat hat jetzt den Kampf gegen...

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