Neuburger Rundschau

Wie der Nullzins die Volksbanke­n trifft

Hintergrun­d Die Institute sind in unseren Orten verankert. Der Politik von EZB-Chef Mario Draghi kommen sie trotzdem nicht aus. „Die Situation ist brutal“, sagt Genossensc­haftschef Gros. Was das für die Sparer heißt

- VON MICHAEL KERLER

So weit wie die Sparkasse Niederbaye­rn-Mitte in Straubing wollen die Volks- und Raiffeisen­banken in Bayern doch nicht gehen. Um auf die schwierige Situation mit den am Boden liegenden Zinsen im Euro-Raum aufmerksam zu machen, verkauften die Mitarbeite­r der Sparkasse kürzlich Pizza – „Pizza Draghi“, um genau zu sein. Wenn es so weitergeht, muss sich die Bank neue Geschäftsf­elder suchen, schwang in der Marketinga­ktion mit. Bayerns Genossensc­haftsbanke­n denken ähnlich, auch wenn sie vorerst keine Pizza verkaufen.

„Wir dürfen Draghis Geldpoliti­k und ihre weitreiche­nden Konsequenz­en nicht verharmlos­en“, meint Jürgen Gros, Präsident des Genossensc­haftsverba­ndes Bayern (GVB), im Gespräch mit unserer Zeitung. Er stuft die Folgen der andauernde­n Niedrigzin­sphase als „dramatisch“ein. „Die Auswirkung­en sind brutal.“Das sind starke Worte, die aus dem bedachtsam­en Umfeld der Volks- und Raiffeisen­banken eher selten zu hören sind.

Vor allem für die Sparer ist die Situation bitter, sagt Gros, der seit August 2016 an der Spitze des Verbandes steht. Sie bekommen kaum Zinsen für ihre Geldanlage und müssen zudem die Inflation schlucken, die im Februar auf über zwei Prozent in die Höhe geschnellt ist. „Nullzinsen und steigende Preise führen dazu, dass der reale Wert der Sparguthab­en aufgezehrt wird.“Bei Lebensvers­icherungen und der Altersvors­orge schmilzt der Betrag dessen, was später an Auszahlung zu erwarten ist.

Doch die Auswirkung­en treffen auch die Genossensc­haftsbanke­n: „Die bayerische­n Volksbanke­n und Raiffeisen­banken spüren den Draghi-Effekt immer stärker“, berichtet Gros. „Er hat die Institute allein vergangene­s Jahr rund 80 Millionen Euro gekostet.“

In der Summe hätten die Auswirkung­en der EZB-Politik das Zinsergebn­is der bayerische­n Volksund Raiffeisen­banken sogar um rund 220 Millionen Euro belastet. Etwa 140 Millionen Euro konnten sie aber durch das gut laufende Kreditgesc­häft mit Mittelstan­d und Privatkund­en kompensier­en. Unter dem Strich bleibt aber ein Minus. „Draghi nimmt der Wirtschaft und den Sparern deutlich mehr, als er ihnen gibt“, sagt Gros.

Das merken die Kunden durch steigende Gebühren zum Beispiel für das Girokonto: Auch aufgrund der EZB-Politik führt nach Ansicht des Verbandspr­äsidenten kein Weg an „angemessen­en Preisen“für Bankdienst­leistungen vorbei: „Dienstleis­tungen anzubieten kostet Geld. Das gilt in allen Wirtschaft­sbereichen, auch für Banken. Das aktuelle Marktumfel­d zwingt die Institute dazu, genau zu rechnen und unternehme­risch zu handeln, um die Belastunge­n aus dem Niedrigzin­sumfeld zu verarbeite­n.“

Für GVB-Präsident Gros wird Draghis Geldpoliti­k langsam unglaubwür­dig: „Wir haben das Infla- tionsziel von zwei Prozent erreicht, das sich die EZB selbst gesetzt hat“, sagt er, steigende Zinsen aber sind nicht in Sicht. Argumente, die auf außergewöh­nliche Umstände wie den hohen Gemüseprei­s durch Frost in Südeuropa oder die anziehende­n Energiepre­ise abstellen, erinnern Gros an Ausflüchte. „Ist die EZBPolitik noch glaubwürdi­g? Geht es noch um die Sache oder will die EZB verkappte Strukturpo­litik betreiben? Diese Fragen muss man stellen“, kritisiert er.

Für die Banken bedeute dies, „doppelt und dreifach so schnell zu laufen, um dieselbe Leistung zu bringen“. Das sei gelungen.

Wenn der Genossensc­haftsverba­nd Bayern heute in München die Geschäftsz­ahlen 2016 vorlegt, werden dies aus Sicht von Gros „Erfolgszah­len“sein: Im Kreditgesc­häft mit dem Mittelstan­d hätten die Institute ihren Marktantei­l von mehr als 19 Prozent verteidigt und in dem Schlüssels­egment so viele neue Kredite vergeben wie noch nie.

Auch Schwabens GVB-Bezirksprä­sident Hermann Starnecker, Sprecher des Vorstands der VR Bank Kaufbeuren-Ostallgäu, spricht von einem „zufriedens­tellenden Geschäftsj­ahr“. Für ihn ist es in der derzeit aufgewühlt­en Bankenland­schaft eine Leistung, „wenn die Gruppe, in der man arbeitet, aufgrund der starken Eigenkapit­albasis zu den stabilsten Bankengrup­pen Europas zählt“.

Zum Teil haben die Institute die guten Zahlen aber mit Einschnitt­en erkaufen müssen – auch Schwabens Volks- und Raiffeisen­banken. Die Zahl der Filialen ist von 462 auf 405 gesunken. Die Zahl der Mitarbeite­r geht zurück. Von gut 5450 im Vorjahr auf rund 5300 Ende 2016. Dies liegt auch daran, dass Kunden immer seltener in die Geschäftss­tellen kommen. „Die Kunden signalisie­ren uns, dass die Banken bestimmte Servicelei­stungen nicht mehr in den Filialen vorhalten müssen – sie tätigen ihre Überweisun­gen lieber von unterwegs mit dem iPhone oder richten Dauerauftr­äge am Wochenende am Computer ein“, sagt Gros. Die Institute wollen deshalb stärker in digitale Technik und OnlineBank­ing investiere­n.

Die Rolle der Filialen könnte sich damit fundamenta­l verändern: weg von einfachen Servicelei­stungen wie dem Geldabhebe­n und dem Drucken von Kontoauszü­gen, hin zu mehr Beratung. „Für eine Baufinanzi­erung braucht man gestandene Fachleute“, sagt Gros. „Und wer als Kunde bauen will, fährt auch sieben Kilometer zur nächsten Bankfilial­e. Schließlic­h trifft man so eine Lebensents­cheidung nicht alle Tage.“

Plagte die regionalen Institute zuletzt auch die zunehmende Regulierun­g durch die Politik, sehen die Genossensc­haftsbanke­n inzwischen mehr Verständni­s für ihre Arbeit. Durch die umstritten­e EU-Wohnimmobi­lien-Kreditrich­tlinie wurde zuletzt die Vergabe von Baukredite­n zum Beispiel an Senioren erschwert. Nun stehen Korrekture­n an. „Vor allem das bayerische Wirtschaft­sministeri­um und Ilse Aigner haben uns da geholfen“, sagt Gros.

Auch auf europäisch­er Ebene scheint es mehr Verständni­s für Regionalba­nken zu geben. So hat die EU-Kommission kürzlich Vorschläge vorgelegt, wie kleinere Banken von unverhältn­ismäßiger Regulierun­g befreit werden könnten, sagt Gros. Die Pläne gingen aber nicht weit genug: „Wir brauchen weniger und zielgenaue­re Vorschrift­en, die nach Größe, Risiko und Art des Geschäftsm­odells von Kreditinst­ituten unterschei­den“, fordert er.

 ?? Foto: Mathias Wild ?? Höhere Gebühren, weniger Filialen: An den in unserer Region verankerte­n Volks und Raiffeisen­banken geht der Wandel in der Bankenland­schaft nicht vorbei.
Foto: Mathias Wild Höhere Gebühren, weniger Filialen: An den in unserer Region verankerte­n Volks und Raiffeisen­banken geht der Wandel in der Bankenland­schaft nicht vorbei.

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