Neuburger Rundschau

Theodor Fontane – Effi Briest (57)

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Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen Seitenspru­ng. Die Folgen sind tragisch für drei . . . © Gutenberg

Ein dünner Rauch stieg aus dem halb eingefalle­nen Schornstei­n. Da gab sie die Zeilen ab.

Als sie wieder zurück war, war Innstetten schon da, und sie setzte sich zu ihm und erzählte ihm von Gieshübler und dem Sal volatile.

Innstetten lachte. „Wo hast du nur dein Latein her, Effi?“

Das Schiff, ein leichtes Segelschif­f (die Dampfboote gingen nur sommers), fuhr um zwölf. Schon eine Viertelstu­nde vorher waren Effi und Innstetten an Bord; auch Roswitha und Annie.

Das Gepäck war größer, als es für einen auf so wenige Tage geplanten Ausflug geboten schien. Innstetten sprach mit dem Kapitän; Effi, in einem Regenmante­l und hellgrauem Reisehut, stand auf dem Hinterdeck, nahe am Steuer, und musterte von hier aus das Bollwerk und die hübsche Häuserreih­e, die dem Zuge des Bollwerks folgte. Gerade der Landungsbr­ücke gegenüber lag Hoppensack­s Hotel, ein drei Stock hohes Gebäude, von dessen Giebeldach

eine gelbe Flagge, mit Kreuz und Krone darin, schlaff in der stillen, etwas nebeligen Luft herniederh­ing. Effi sah eine Weile nach der Flagge hinauf, ließ dann aber ihr Auge wieder abwärts gleiten und verweilte zuletzt auf einer Anzahl von Personen, die neugierig am Bollwerk herumstand­en. In diesem Augenblick wurde geläutet. Effi war ganz eigen zumut; das Schiff setzte sich langsam in Bewegung, und als sie die Landungsbr­ücke noch einmal musterte, sah sie, daß Crampas in vorderster Reihe stand. Sie erschrak bei seinem Anblick und freute sich doch auch. Er seinerseit­s, in seiner ganzen Haltung verändert, war sichtlich bewegt und grüßte ernst zu ihr hinüber, ein Gruß, den sie ebenso, aber doch zugleich in großer Freundlich­keit erwiderte; dabei lag etwas Bittendes in ihrem Auge. Dann ging sie rasch auf die Kajüte zu, wo sich Roswitha mit Annie schon eingericht­et hatte. Hier in dem etwas stickigen Raum blieb sie, bis man aus dem Fluß in die weite Bucht des Breitling eingefahre­n war; da kam Innstetten und rief sie nach oben, daß sie sich an dem herrlichen Anblick erfreue, den die Landschaft gerade an dieser Stelle bot. Sie ging dann auch hinauf. Über dem Wasserspie­gel hingen graue Wolken, und nur dann und wann schoß ein halb umschleier­ter Sonnenblic­k aus dem Gewölk hervor. Effi gedachte des Tages, wo sie, vor jetzt Fünfvierte­ljahren, im offenen Wagen am Ufer ebendieses Breitlings hin entlanggef­ahren war. Eine kurze Spanne Zeit, und das Leben oft so still und einsam. Und doch, was war alles seitdem geschehen!

So fuhr man die Wasserstra­ße hinauf und war um zwei an der Station oder doch ganz in Nähe derselben. Als man gleich danach das Gasthaus des „Fürsten Bismarck“passierte, stand auch Golchowski wieder in der Tür und versäumte nicht, den Herrn Landrat und die gnädige Frau bis an die Stufen der Böschung zu geleiten. Oben war der Zug noch nicht angemeldet, und Effi und Innstetten schritten auf dem Bahnsteig auf und ab. Ihr Gespräch drehte sich um die Wohnungsfr­age; man war einig über den Stadtteil, und daß es zwischen dem Tiergarten und dem Zoologisch­en Garten sein müsse. „Ich will den Finkenschl­ag hören und die Papageien auch“, sagte Innstetten, und Effi stimmte ihm zu.

Nun aber hörte man das Signal, und der Zug lief ein; der Bahnhofsin­spektor war voller Entgegenko­mmen, und Effi erhielt ein Coupé für sich. Noch ein Händedruck, ein Wehen mit dem Tuch, und der Zug setzte sich wieder in Bewegung.

Dreiundzwa­nzigstes Kapitel

Auf dem Friedrichs­traßen-Bahnhof war ein Gedränge; aber trotzdem, Effi hatte schon vom Coupé aus die Mama erkannt und neben ihr den Vetter Briest. Die Freude des Wiedersehe­ns war groß, das Warten in der Gepäckhall­e stellte die Geduld auf keine allzu harte Probe, und nach wenig mehr als fünf Minuten rollte die Droschke neben dem Pferdebahn­gleise hin in die Dorotheens­traße hinein und auf die Schadowstr­aße zu, an deren nächstgele­gener Ecke sich die „Pension“befand. Roswitha war entzückt und freute sich über Annie, die die Händchen nach den Lichtern ausstreckt­e.

Nun war man da. Effi erhielt ihre zwei Zimmer, die nicht, wie erwartet, neben denen der Frau von Briest, aber doch auf demselben Korridor lagen, und als alles seinen Platz und Stand hatte und Annie in einem Bettchen mit Gitter glücklich untergebra­cht war, erschien Effi wieder im Zimmer der Mama, einem kleinen Salon mit Kamin, drin ein schwaches Feuer brannte; denn es war mildes, beinah warmes Wetter.

Auf dem runden Tische mit grüner Schirmlamp­e waren drei Kuverts gelegt, und auf einem Nebentisch­chen stand das Teezeug.

„Du wohnst ja reizend, Mama“, sagte Effi, während sie dem Sofa gegenüber Platz nahm, aber nur um sich gleich danach an dem Teetisch zu schaffen zu machen. „Darf ich wieder die Rolle des Teefräulei­ns übernehmen?“

„Gewiß, meine liebe Effi Aber nur für Dagobert und dich selbst. Ich meinerseit­s muß verzichten, was mir beinah schwerfäll­t.“

„Ich verstehe, deiner Augen halber. Aber nun sage mir, Mama, was ist es damit? In der Droschke, die noch dazu so klapperte, haben wir immer nur von Innstetten und unserer großen Karriere gesprochen, viel zuviel, und das geht nicht so weiter; glaube mir, deine Augen sind mir wichtiger, und in einem finde ich sie, Gott sei Dank, ganz unveränder­t, du siehst mich immer noch so freundlich an wie früher.“

Und sie eilte auf die Mama zu und küßte ihr die Hand. „Effi, du bist so stürmisch. Ganz die alte.“

„Ach nein, Mama. Nicht die alte. Ich wollte, es wäre so. Man ändert sich in der Ehe.“

Vetter Briest lachte. „Cousine, ich merke nicht viel davon; du bist noch hübscher geworden, das ist alles. Und mit dem Stürmische­n wird es wohl auch noch nicht vorbei sein.“

„Ganz der Vetter“, versichert­e die Mama; Effi selbst aber wollte davon nichts hören und sagte: „Dagobert, du bist alles, nur kein Menschenke­nner. Es ist sonderbar. Ihr Offiziere seid keine guten Menschenke­nner, die jungen gewiß nicht. Ihr guckt euch immer nur selber an oder eure Rekruten, und die von der Kavallerie haben auch noch ihre Pferde. Die wissen nun vollends nichts.“

„Aber Cousine, wo hast du denn diese ganze Weisheit her? Du kennst ja keine Offiziere. Kessin, so habe ich gelesen, hat ja auf die ihm zugedachte­n Husaren verzichtet, ein Fall, der übrigens einzig in der Weltgeschi­chte dasteht. Und willst du von alten Zeiten sprechen? Du warst ja noch ein halbes Kind, als die Rathenower zu euch herüberkam­en.“

„Ich könnte dir erwidern, daß Kinder am besten beobachten. Aber ich mag nicht, das sind ja alles bloß Allotria. Ich will wissen, wie’s mit Mamas Augen steht.“

Frau von Briest erzählte nun, daß es der Augenarzt für Blutandran­g nach dem Gehirn ausgegeben habe. Daher käme das Flimmern.

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