Weltherrschaft der Autofahrer
Einen seltsamen Anblick gibt er schon ab, wie er da auf dem Stein vor dem Bücherturm steht. Großgewachsen, leichter Bauchansatz, alter Fahrradschlauch um den Hals. Haare hinten: 1968er-Straßenkampf in Grau. Haare vorne: fehlen. Er raucht Overstolz ohne Filter und holt aus: „Erst die Griechen. Dann die Römer. Jetzt die Autofahrer. Warum sterben die Menschen mit ihren Weltmachtsfantasien nie aus? Haben wir in all den Jahrhunderten nichts dazu gelernt? Irgendwie muss Platz für alle sein. Aber man muss sich ja nur umschauen.“Er zeigt Richtung Innenstadt: „Jeder Laden fürchtet hier in Neuburg um sein Überleben, wenn der Audi nicht am besten bis direkt vor die Kasse fahren kann. Es gibt in ganz Bayern wahrscheinlich keine Stadt, die leichter den Verkehr aus ihren schmalen Innenstadtgässchen verbannen kann. Keine Stadt, die leichter für sich werben könnte, indem sie die Kohlenstoffschleudern aussperrt. Aber die Welt gehört ja den Autofahrern und der Autofahrer ist Kunde.“
Er vergisst, von der Zigarette zu ziehen, und zeigt Richtung Münchener Straße: „Geld. Es geht nur um Geld und um Wähler. Wird es ungemütlich, weil Anwohner für den Radweg zahlen müssen, lässt man die Finger davon. Und das seit Zeiten, als die Welt noch in zwei Blöcke unterteilt war. Da hatte man andere Probleme. Aber jetzt könnte man doch endlich mal die Radfahrer wahrnehmen. Gibt es keine faire Lösung? Ein Radwegkonzept für die ganze Stadt, für das alle und nicht einzelne aufkommen? Irgendeine Vision von der Zukunft einer Stadt, die nicht bei jeder politischen Entscheidung an kleinen Stellschrauben dreht, aber keinen großen Plan verfolgt? Die Griechen und die Römer hatten wenigstens noch Visionen. Die Autofahrer würden einfach nur gern auf dem Karlsplatz parken, damit der Weg kürzer ist.“
Der Grantler verstummt. Es dämmert und er hat gemerkt, dass ihm niemand zuhört. Er drückt die Zigarette aus, springt vom Stein und schiebt sein kaputtes Rad an den parkenden Autos vorbei nach Hause.
Der Grantler