Ermittler plaudert aus dem Nähkästchen
Lesung Ex-Polizist Josef Wilfling stellt in Neuburg sein neues Buch vor. Dabei erzählt er, welche Macht Mörder ausüben
Fernsehkrimis sind zwar oft spannend, zeigen die Arbeit der Polizei aber selten realistisch. Wie die in Wirklichkeit abläuft, erfuhr das Publikum bei einer Lesung in der Buchhandlung Rupprecht aus erster Hand.
Krimis zu jeder Tages- und Nachtzeit, Mord und Totschlag auf allen Fernsehkanälen: Verbrechen faszinieren die Menschen, die Aufklärungsmethoden der Polizei ebenso. Doch ist die Fiktion oft weit weg von der Wirklichkeit. Einer, der die Polizeiarbeit aus dem Effeff kennt, war am Donnerstag zu Gast in der Buchhandlung Rupprecht: Josef Wilfling, langjähriger und erfolgreicher Ermittler. Er war vor allem wegen seines Geschicks bei Verhören berühmt. 42 Jahre war er bei der Polizei, 22 davon bei der Münchner Mordkommission, die er von 2002 bis 2009 leitete. Er wirkte unter anderem mit bei der Aufklärung der Morde an Walter Sedlmayr und Rudolph Moshammer sowie der Morde des Serienmörders Horst David. Außerdem ermittelte er im Falle des Schauspielers Günther Kaufmann.
Nach seiner Pensionierung im Jahr 2009 widmete sich Josef Wilfling dem Schreiben. Mittlerweile sind drei Bücher mit echten Fällen von ihm erschienen: „Abgründe – Wenn aus Menschen Mörder werden“, „Unheil: Warum jeder zum Mörder werden kann“und nun „Verderben – Die Macht der Mörder“.
Etwas Beruhigendes vorab: Auch wenn es im deutschen Fernsehen zigmal mehr Krimis zu sehen gibt als Liebesfilme und Komödien und auch der Buchmarkt überschwemmt ist von einschlägiger fiktionaler und Sachbuch-Literatur – Deutschland ist eines der sichersten Länder der Welt. 0,8 Tötungsdelik- pro 100000 Einwohner sind hierzulande zu verzeichnen. Der weltweite Durchschnitt liegt bei 6,2.
Auch hat die Ermittlungsarbeit im Fernsehen nicht besonders viel gemein mit der im richtigen Leben. Das stellte Josef Wilfling gleich am Anfang klar und verriet etliches aus Nähkästchen, sprich: von der täglichen mühsamen Alltagsarbeit bei der Kripo. Selten seien die Fälle so komplex wie im Film und schon gar nicht seien die Ermittler Typen wie der legendäre Schimanski oder gar Nick Tschiller, der von Til Schweiger verkörperte Tatortte Kommissar, der schon vormittags zwei bis drei Leute umlege. Ermittlungsarbeit sei Teamarbeit, betonte Wilfling, und an einem realen Schauplatz eines Verbrechens herrschen Angst und Entsetzen. Denn ein Täter bringe Verderben nicht nur über das Opfer und seine Angedem hörigen, sondern auch über seine eigene Familie. So übe er eine unheimliche Macht auf das Leben aller Betroffenen aus.
Erfreulicherweise habe sich aber die Zahl der Tötungsdelikte in den letzten 20 Jahren halbiert. Allerdings sei die Dunkelziffer an unentdeckten Delikten hoch. Das höchste Konfliktpotenzial, so Wilfling, liege im Bereich der Ehe und der Partnerschaft – die gefährlichste Tätergruppierung sind die Ehemänner. „Augen auf bei der Partnerwahl“, riet Wilfling, der selbst seit 47 Jahren mit ein- und derselben Frau verheiratet ist.
Mit seinem trockenen fränkischen Humor würzte der gebürtige Oberfranke so manches Mal seinen Vortrag. Doch auch bei ihm ist oft Schluss mit lustig, zum Beispiel bei den Themen häusliche Gewalt, Kindesmissbrauch, zu häufigen Bewährungsstrafen und generell zu milden Strafzumessungen: „Ich bin ein total liberaler Mensch, aber Verbrecher gehören eingesperrt!“Er plädierte für eine konsequente Strafverfolgung, auch mithilfe von Überwachungskameras und Vorratsdatenspeicherung.
Angesichts der Tatsache, dass viele Taten von ganz normalen Tätern ausgeführt werden und an ganz normalen Schauplätzen stattfinden, stellt sich die Frage: „Kann jeder zum Mörder werden?“Prinzipiell ja, meint Wilfling, aber es brauche immer Anreize, Anlässe oder Auslöser bei Gewalttaten – und dann gebe es ja auch die Moral und das Gewissen als Hemmschwelle. In diesem Zusammenhang zitierte er Immanuel Kant, der sinngemäß meinte, dass wir alle das Gute und das Böse in uns tragen, aber schließlich auch einen freien Willen besitzen. Und der sei ausschlaggebend für die Entscheidungen, die wir in unserem Leben treffen.