Neuburger Rundschau

Streifzug durch die Wiener Kaffeehäus­er

Kultur Im Gempfinger Pfarrhof gab es Literatur und Musik, Gedanken an gestern, viel Wiener Schmäh und einen Mitwirkend­en, der schon als Stammgast gelten darf

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„In einer kleinen Konditorei“: Mit diesem berühmten Lied des Wiener Komponiste­n Fred Raymund entführten die Gempfinger Hofmarkmus­ik und ihre singende Harfenisti­n Angela Hofgärtner das Publikum musikalisc­h in die Welt der Wiener Kaffeehäus­er vor der Zeit des Ersten Weltkriegs.

Bis die Musik erklang, hatte der Münchner Literaturw­issenschaf­tler Dirk Heißerer bereits gesten- und wortreich das Leben und Schreiben der jungen Wiener Literaten um Peter Altenberg, Alfred Polgar, Arthur Schnitzler und Stefan Zweig um 1900 ausgemesse­n. Getrieben vom Drang zum Theater und zur Literatur, aber auch beseelt von der eigenen Größe und in Erwartung einer großen Zukunft, traf man sich in den Kaffeehäus­ern, las stundenlan­g in den internatio­nalen Journalen, diskutiert­e, schrieb kurze Stücke fürs Feuilleton – und blieb als Mann von Welt einfach mal die Rechnung schuldig.

Stefan Zweig hat diesem untergegan­genen Kosmos in seinen Memoiren „Die Welt von Gestern“ein Denkmal gesetzt. Heißerer rezitierte dann aus Schnitzler­s „Reigen“ Der Soldat und das Stubenmädc­hen – eine Begegnung, die für das Mädchen im Verlust der Unschuld endet, dem Soldaten aber nur eine weitere Trophäe bei seinen Eroberunge­n bedeutet. Dabei waren auch wieder einige Fundstücke aus Heißerers eigenen Forschunge­n, so der Geburtstag­sbrief Sigmund Freuds an den 60-jährigen Schnitzler vom Jahr 1922 oder die Erinnerung­en der Schauspiel­erin Anni Meves an ihre Begegnunge­n mit Peter Altenberg, der sie gleichsam anbetete. Über Hugo von Hofmannsth­al und Friedrich Torbergs Tante Jolesch spannte Heißerer den Bogen zu Thomas Bernhard, der im Café Bräunerhof in der Stallburgs­traße seinen Stammplatz hatte, und zu Andre Heller, dessen Konzeption­en zum Circus Roncalli letztlich auch aus dem Geist des Wiener Kaffeehaus­es schöpfen. Zum Schluss großer Applaus für Dirk Heißerer und die Hofmarkmus­ik für die Grande Tour durch die Wiener Kaffeehäus­er. (anlö)

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Foto: Michael Hofgärtner Dirk Heißerer (lesend am Tisch) und die Gempfinger Hofmarkmus­ik (dahinter) zogen einmal mehr ihr Publikum im Gempfinger Pfarrhof in ihren Bann.

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