Im Moloch Berlin
Medien Die Krimis um Kommissar Gereon Rath sind Bestseller. Der erste Roman der Reihe, „Der nasse Fisch“, erschien nun als Comic. Und er dient als Vorlage für die teuerste deutsche Serie aller Zeiten. Was Autor Volker Kutscher darüber denkt
Für Liebhaber hochwertiger Serien sind es gute Zeiten. Alleine in den USA wurden 2016 so viele Serien gezählt wie nie zuvor. Darunter aufwendige Produktionen wie „Westworld“mit Anthony Hopkins. Es sind gute Zeiten für den früheren Tageszeitungsjournalisten und heutigen Krimi-Autor Volker Kutscher. Dazu gleich mehr.
Am 17. März also lief die erste deutsche Amazon-Prime-Serie „You Are Wanted“von und mit Kinostar Matthias Schweighöfer an. Bereits am 22. März teilte der Streamingdienst mit, er habe eine zweite Staffel in Auftrag gegeben. Der Thriller habe „das stärkste Startwochenende einer Serie in der Geschichte von Amazon Prime Video in Deutschland“gefeiert, in 70 Ländern gehöre er „zu den fünf meistgesehenen Serien des Wochenendes“.
Die Erwartungen waren riesig, der Druck auf Schweighöfer groß.
Besonders die Streaming-Dienste, die Serien zum Online-Abruf anbieten, liefern sich einen harten Wettkampf. Ihr Markt ist ein Milliarden-Markt und der Markt der Zukunft. „Das herkömmliche lineare Fernsehen mit seinen vorgegebenen Sendezeiten ist ein Auslaufmodell“, sagt Volker Kutscher.
Amazon-Konkurrent Netflix will noch Ende des Jahres seine erste deutsche Serie, den Mystery-Zehnteiler „Dark“, zeigen. Der Bezahlsender Sky Deutschland setzt auf „Babylon Berlin“, das er mit der gebührenfinanzierten ARD, X Filme Creative Pool und Beta Film produziert – eine einmalige Kooperation zwischen einem privaten und einem öffentlich-rechtlichen Sender.
Im Oktober wird Sky „Babylon Berlin“ausstrahlen, Regisseur und Drehbuchautor ist Tom Tykwer. Mit geschätzten Kosten von bis zu 40 Millionen Euro und einer Starbesetzung (Matthias Brandt, Lars Eidinger, Fritzi Haberlandt) gilt „Babylon Berlin“als teuerste deutsche Fernsehproduktion aller Zeiten.
Die Erwartungen sind riesig, der Druck auf Kutscher – nicht groß.
Sagt er zumindest. Und man nimmt es Kutscher, der mit seinem Krimi „Der nasse Fisch“die Vorlage zu „Babylon Berlin“schrieb, ab. Er sagt: „Ich finde es toll, dass aus meinem Roman so ein Riesen-Ding geworden ist.“Aber mit der hohen Erwartungshaltung müssten Tykwer und Co. zurechtkommen. Sein Projekt seien die Romane.
Kutscher war in „Babylon Berlin“eingebunden, Einfluss nehmen konnte er nicht. Die Serie sei etwas Eigenständiges, die Produzenten habe er nur um eines gebeten: „Bitte verratet mir meine Figuren nicht!“
Kutscher, der aus der Nähe von Köln stammt, ist Serienfan. Das Mafia-Epos „The Sopranos“(Erstausstrahlung 1999) und das Polizeidrama „The Wire“(Erstausstrahlung 2002) begeistern ihn bis heute. 2002 war es auch, als er mit der Ar- beit an „Der nasse Fisch“begann. Eineinhalb Jahre lang suchte er dann einen Verlag. 2007 erschien schließlich sein Kriminalroman, in dem er Kommissar Gereon Rath im Berlin der 1920er und 1930er Jahre ermitteln lässt. Es sollten fünf weitere Rath-Krimis folgen, Kutscher schreibt gerade an Band sieben. Mit Band neun, den er im Jahr der „Reichskristallnacht“1938 ansiedelt, will er die Reihe abschließen.
Es sind klassisch erzählte Fälle, deren Faszination die Detailgenauigkeit ausmacht, mit der Kutscher das Leben in der Weimarer Republik und in Hitlers noch jungem „Dritten Reich“schildert. Kutscher studierte Geschichte, las sich durch die Zeitungen jener Jahre.
Was stand im Lokalteil, was auf den Rätselseiten? Welche Witze waren populär, welche Sportnachrichten waren wichtig? Welche Anzeigen wurden geschaltet? Wie teuer waren Lebensmittel, Kleidungsstücke, Autos? Kutscher wollte dem Alltag dieser Zeit so nahe wie möglich kommen. Damit sich Leser als Teil dieser Welt fühlen, sagt er. Das ein Grund für den Erfolg seiner Krimis. Der Verlag Kiepenheuer & Witsch und Kutscher bedienen ein offensichtlich stark vorhandenes Interesse an den geschichtlichen Hintergründen auf der Seite gereonrath.de – mit alten Schwarz-WeißAufnahmen Berlins ebenso wie mit Linktipps zu historischen Berliner Stadtplänen.
Ein zweiter Grund für den Erfolg ist, dass die Alltagswelt der 20er und frühen 30er unserer Gegenwart auf fast unheimliche Weise zu ähneln scheint. Technischer Fortschritt, globale Finanz- und Wirtschaftskrise (2007 bis 2010), Erstarken nationalistischer Kräfte... Kutscher wehrt sich gegen platte Vergleiche, spricht allerdings von erstaunlichen Parallelen. Die wichtigste? „Auch wir stellen heute fest, dass Demokratie nichts Selbstverständliches Repro: Carlsen/Jysch/Kutscher ist.“Geschichte sei dabei nie vorgezeichnet. Sein Kommissar Rath jedenfalls klärt in einer Phase gewaltiger Umbrüche Morde auf. Die Zeit der Nationalsozialisten ist nicht angebrochen, die „Goldenen Zwanziger“neigen sich ihrem Ende zu.
Berlin ist im Krimi wie in der Realität 1929 eine Stadt der krassen Gegensätze. Flirrende Kultur-Metropole auf der einen, Ort der Armut, Sex- und Gewalt-Exzesse auf der anderen Seite. Nachtclubs, Drogen, organisiertes Verbrechen. Und: Unruhen. Wie die als „Blutmai“bekannt gewordenen. Die Kommunistische Partei Deutschlands hatte trotz eines Demonstrations- und Versammlungsverbots zu Kundgebungen aufgerufen.
„Die Zeichen standen auf Straßenkampf“, sagt Gereon Rath als Ich-Erzähler in der Graphic NovelAdaption von „Der nasse Fisch“. So kommt es: Die Polizei geht hart gegen Demonstranten vor, es gibt Tote, Verletzte. Und Rath, ein Einzelgänger, Frauenheld und Gelegenheits-Kokser, mischt sich in Ermittlungen ein – aus dem Landist wehrkanal wurde ein zu Tode gefolterter Russe gezogen.
Kutscher sagt, er versuche, das Geschehen in seinem Kopfkino zu Papier zu bringen. Vieles aus seinem Rath-Kopfkinofilm finde er im Comic von Arne Jysch wieder. Jysch arbeitet für Film- und TV-Produktionen wie den RTL-Dreiteiler „Winnetou“als Storyboardzeichner. Er erstellt gezeichnete Fassungen von Drehbüchern. Schon 2009 fragte er Kutscher, ob er den „nassen Fisch“zum Comic machen dürfe. Auch Jysch recherchierte intensiv, besuchte mit Kutscher die Polizeihistorische Sammlung in Berlin. Sein Comic-Roman, der an Jason Lutes’ „Berlin“-Comics erinnert, zeichnet ein Berlin in SchwarzWeiß. Mal mit detaillierten Figuren und Interieurs, mal mit scharfen Kontrasten, mal mit flächigen Darstellungen, in denen alles zu verschwimmen scheint. Ein Ort im Zwielicht. Damit setzt er kongenial um, was Kutscher be-schreibt.
Während Jysch den Stoff auf die actionreiche Handlung verknappt, wird sie in „Babylon Berlin“stark erweitert. Etwa indem das Elend der Arbeiter stärker beleuchtet wird. Nachdem im Februar Journalisten Ausschnitte aus der Serie gezeigt worden waren, schrieb die Zeit von einem opulenten „Bilderrausch“, der Tagesspiegel von „äußerst expliziten Sexdarstellungen“.
Kutscher kennt nicht wesentlich mehr als diese Ausschnitte. Immerhin: Einmal habe er mit in den Schneideraum gedurft. Was er sah, habe ihn jedoch überzeugt. „Mir ist sehr wichtig, dass die Welt nicht weichgezeichnet wird.“Er finde es gut, wenn man Elend, Dreck und Schmutz sehen könne. „Man muss Gewalt als Gewalt und Sex als Sex zeigen, denn das dient der Authentizität der Geschichte“, sagt er.
Serienfan Kutscher wäre begeistert, würde „Babylon Berlin“ein „The Wire 1929“. „The Wire“ist nur vordergründig eine Polizeiserie, tatsächlich aber ein vielschichtiges Porträt – der US-Stadt Baltimore.
„Man muss Gewalt als Gewalt und Sex als Sex zeigen.“
Volker Kutscher