Keine Schonzeit für Jäger
Sicherheit Silvester in Köln, der Fall Amri: Nordrhein-Westfalens Innenminister steht in der Schusslinie. Unterschätzt er die Probleme?
Säße er selbst noch in der Opposition: Er hätte längst seinen Rücktritt gefordert. Ralf Jäger, Nordrhein-Westfalens Innenminister, nennen sie im Düsseldorfer Landtag nicht ohne Grund den „Jäger 90“. Als dort noch Union und FDP regierten, gab es keinen Abgeordneten, der sie härter attackierte, und irgendwann zog ein Kollege Parallelen zwischen der Angriffslust des Genossen Jäger und den Kanonen des Kampfflugzeuges Jäger 90.
Seitdem hat der 56-Jährige seinen Spitznamen weg – auch wenn der Angreifer von damals heute vor allem mit defensiven Aufgaben beschäftigt ist. Im Streit um den Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses, der die Vorfälle in der Kölner Silvesternacht aufklären sollte, wirft die Opposition SPD und Grünen vor, sie hätten ganze Textpassagen gestrichen, um Jäger vor der Wahl Mitte Mai aus der Schusslinie zu nehmen. Auch die Rolle, die der gelernte Groß- und Außenhandelskaufmann im Fall des Berliner Attentäters Anis Amri gespielt hat, ist nach wie vor unklar. Schon Monate vor dem Anschlag, rügt Bundesinnenminister Thomas de Maizière, hätten die nordrhein-westfälischen Behörden den als Gefährder bekannten Tunesier in Abschiebehaft nehmen können. Jägers Argument, das wäre angesichts der fehlenden Papiere des Verdächtigen eine Operation „an den Grenzen des Rechtsstaats“mit geringen Erfolgsaussichten gewesen, konterte der CDU-Mann aus Berlin im Untersuchungsausschuss des Landtags trocken: „Es wurde nicht einmal versucht.“
Dass die Arbeit eines Ministers gleich in zwei Untersuchungsausschüssen parallel seziert wird, kommt nicht allzu oft vor. Für Jäger jedoch, in der SPD schon als Kronprinz von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft gehandelt, sind die Kölner Vorfälle und der Fall Amri nur die vorläufigen Höhepunkte einer turbulenten Amtszeit. Kaum Minister geworden, starben bei einer Massenpanik während der Loveparade in seiner Heimatstadt Duisburg 21 Menschen. Die Defizite bei Planung und Durchführung der Techno-Party hatte zwar nicht er zu verantworten, für den missglückten Polizeieinsatz bei einer Hooligan-Demo in Köln, den Folterskandal in einem Flüchtlingsheim oder die sexuellen Übergriffe des Kölner Mobs aber gilt das nicht mehr. Immer stand auch Jäger selbst in der Kritik, und immer versuchte er, die Pfeile rasch von sich wegzulenken. Mal war es der Polizeipräsident, den er abberief, mal eine „unterschiedliche Rechtsauffassung“.
Armin Laschet, der Spitzenkandidat der CDU, hat den Innenminister nun zum „Sicherheitsrisiko“erklärt. Obwohl das Landeskriminalamt schon früh davor gewarnt hatte, Amri könnte ein Attentat begehen, wehrten Jägers Beamte ab: ohne Papiere keine Abschiebung, also auch keine Abschiebehaft. Und wie im Fall Amri arbeiteten auch in Köln Behörden nicht zusammen, sondern aneinander vorbei. Im Abschlussbericht der Untersuchungsausschusses heißt es wörtlich: In jener Silvesternacht „wäre ein möglichst frühzeitiges Eingreifen erforderlich gewesen“. Schnelle Sperrungen, eine bessere Kommunikation: Offenbar fehlte es schon an vermeintlichen Selbstverständlichkeiten.
Der sonst so forsche Jäger – ein Zauderer? So kurz vor der Wahl ist der Bericht eine Steilvorlage für die Opposition. Union und FDP sehen für die verfehlte Einsatzplanung auch den Innenminister von der SPD in der Verantwortung. Sie sprechen von „blinder Führung“.