Ich werde immer das tun, was ich sage
In Berlin fordert die preisgekrönte Künstlerin Adrian Piper zu Selbstverpflichtungen von jedermann auf
Kann die Kunst nicht nur Denkanstöße vorgeben, sondern regelrecht auch Handlungsanweisungen? Natürlich.
Der kleine, 33 Zentimeter hohe Marien-Klappaltar von Jan van Eyck in den Dresdner Kunstsammlungen fordert Andacht geradezu heraus. Otto Dix’ Kriegsbilder stöhnen: Nie wieder! Joseph Beuys’ sozial-ökologische Kassler Aktion „Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung“hält noch heute das lokale Grünamt auf Trab. Und jetzt legt die US-Künstlerin Adrian Piper (* 1948) in Berlin drei Verhaltensgebote auf den Tresen, die ein jeder nicht nur lesen, sondern auch unterzeichnen kann – als Selbstverpflichtung und zur Einhaltung. Wird das unser Zusammenleben ein Quäntchen besser machen? Darüber wäre nachzudenken. Jedenfalls dürfte das Leben jedes Teilnehmers ein Stück anspruchsvoller, komplexer, verantwortungsschwerer werden. Aber was ist es, das die in Berlin ansässige Adrian Piper, die mit ihrem Selbstverpflichtungskunstwerk 2015 den Goldenen Löwen von Venedig gewann, von uns erwartet?
1) Ich werde immer zu teuer sein, um gekauft zu werden.
2) Ich werde immer meinen, was ich sage.
3) Ich werde immer das tun, was ich sage.
Klar: Was sollte einer gegen so etwas wie Unbestechlichkeit (Regel 1), gegen Ehrlichkeit (Regel 2), gegen bloße Lippenbekenntnisse und falsche Versprechen (Regel 3) einwenden können? Adrian Piper erläutert ihr pragmatisches, pädagogisches Kunstwerk mit den Worten: „Die Arbeit zielt auf den Begriff des Vertrauens ab, der Grundlage einer Gesellschaft, in der menschliche Transaktionen aller Art erfolgreich, friedlich und planmäßig vonstattengehen.“
Die Konzeptkünstlerin hatte das Kunstwerk, das vordergründig aus drei eleganten Tresen besteht, die bis Anfang September in der Ausstellungshalle Hamburger Bahnhof zum Signieren einladen, 2015 gezielt der Nationalgalerie im Zentrum der deutschen Hauptstadt zum Kauf angeboten – und zwar, wie sie damals erklärte, zu einem Bruchteil der Kosten von Jeff Koons’ „Ballon Dog“. Die Nationalgalerie griff zu.
Wer an der Aktion durch Unterschrift teilnimmt, kommt mit seinen Daten für 100 Jahre in ein nichtöffentliches digitales Verzeichnis der Nationalgalerie und erhält – als ein Teil des Kunstwerks – eine Liste mit allen Teilnehmer-Nachnamen. Sollte ein Teilnehmer mit einem anderen Unterzeichner in Kontakt treten wollen, dann soll dies nur gelingen, wenn die Nationalgalerie zuvor das Einverständnis dieses Unterzeichners eingeholt und dessen Kontaktangaben weitergeleitet hat.