„Als wär ich nie gewesen“
Uraufführung Wolfgang Rihms Requiem
Wolfgang Rihm, Deutschlands wohl bedeutendster Komponist und Musikvordenker, hat eine im Ganzen unerhörte Werkliste auf hohem und höchstem Niveau vorgelegt: Instrumentalmusiken, Vokalmusiken, starke Opern für Hamburg, Berlin, München, Schwetzingen, Salzburg, aber auch – seinem Elternhaus und seiner Erziehung gemäß – erweiterte Sakralmusiken auf Bibel- und Liturgie-Texte. In bester Erinnerung bleibt unter anderem auch seine Mozart-Huldigung, die 2006 in Augsburg uraufgeführt wurde.
Nun hat der eben 65 Jahre alt gewordene Rihm als „Musica-Viva“-Auftragswerk des Bayerischen Rundfunks ein knapp 90-minütiges Requiem unter dem Titel „Requiem-Strophen“komponiert, nachdem er sich schon 2015 mit den letzten Dingen in „Et Lux“für Streich- und doppeltes Vokalquartett beschäftigt hatte. Aber es gehört ja von jeher zu Rihms Schaffensprozess, dass sich die von ihm aufgegriffenen Themen weiterentwickeln und Kreise ziehen.
Rihm selbst ist schwer erkrankt; schon zur Eröffnung der Hamburger Elbphilharmonie, wo Mitte Januar seine abgeklärte „Reminiszenz“uraufgeführt worden war, konnte er nicht kommen – und nun auch nicht zur Münchner Uraufführung der „Requiem-Strophen“im Herkulessaal unter Chefdirigent Mariss Jansons, die am Freitagabend in BR-Klassik übertragen wurde.
Dass dieses Requiem auf Texte von Rilke, Michelangelo (Sonette), Johannes Bobrowski, Hans Sahl und natürlich auch auf traditionelle Mess-Bestandteile so existenziellernst wie skeptisch-gläubig ausfallen würde, war bei der Gedankenwelt Wolfgang Rihms absehbar gewesen. Dass die vierteilige, musikhistorisch anspielungsreiche Komposition aber nahezu durchwegs derart verhalten, tastend, introvertiert erklingen sollte, wie im Herkulessaal mit dem konzentrierten Einsatz von Chor und Orchester des Bayerischen Rundfunks geschehen, dies war angesichts der potenziellen Schlagkraft des Musikdramatikers Rihm denn doch nicht zu erwarten gewesen. Dynamik, Zeitmaße, Erregung – sie hielten sich in moderaten Grenzen. Nicht die dringliche Fürbitte war wohl erster Kompositionsantrieb, sondern die maßvolle Tröstung der Hinterbliebenen.
Wolfgang Rihm, der aus der Ferne die Uraufführungsproben anhand von tagesaktuellen Aufnahmen verfolgte, hat einen Abgesang geschrieben – einen Abgesang jedoch nicht im Sinne eines ergriffenen Mahlerschen Bekenntnisses, sondern im Sinne weitgefasster abendländischer Todesreflexion. Seine Requiem-Strophen, getragen durch Vokalparts auch eines Baritons (Hanno Müller-Brachmann) und eines hohen Sopran-Duetts (Mojca Erdmann, Anna Prohaska), enden mit den Hans-Sahl-Worten: „Ich gehe langsam aus der Zeit heraus/ in eine Zukunft jenseits aller Sterne,/ und was ich war und bin und immer bleiben werde,/ geht mit mir ohne Ungeduld und Eile,/ als wär ich nie gewesen oder kaum.“
Langanhaltender, warmer Applaus im voll besetzten Herkulessaal der Residenz.