Mahdiyehs neues Leben
Flüchtlinge Die Familie der Elfjährigen ist aus Afghanistan nach Illertissen geflüchtet. Das Mädchen hat schnell Deutsch gelernt und fühlt sich hier wohl – und doch hat es gerade Angst
Stell dir vor, du kommst in ein fremdes Land. Du kennst dort niemanden und die Sprache verstehst du auch nicht. Dann stell dir weiter vor: Nach nur wenigen Monaten hast du so viel gelernt und sprichst die Sprache so gut, dass du auf ein Gymnasium gehen kannst. Eine tolle Leistung wäre das!
Mahdiyeh Bayat hat genau das geschafft. Vor eineinhalb Jahren kam das heute elfjährige Mädchen mit seinen drei älteren Geschwistern und seinen Eltern als Flüchtlinge nach Deutschland. Die afghanische Familie beantragte Asyl. Das heißt, Mahdiyeh und ihre Familie suchten in Deutschland Schutz. Sie baten mit ihrem Asylantrag darum, in Deutschland bleiben zu dürfen.
Schnell war sie eine der Besten in ihrer Klasse
Kein einziges deutsches Wort hat sie damals gekonnt, erinnert sich Mahdiyeh. In Jedesheim wurde die Familie untergebracht. Das ist ein Stadtteil von Illertissen und liegt zwischen Memmingen und Ulm. „Alle waren sehr nett zu uns“, erinnert sich Mahdiyeh. Gleich in den ersten Tagen kamen Nachbarn und Helfer zu Besuch und redeten mit der Familie. Da die Familie aber damals noch kein Deutsch verstand, haben die Besucher versucht, sich mit „Händen und Füßen“zu verständigen. Das heißt, sie haben sich mit Gesten, Zeichen und Bildern mit ihnen unterhalten. Beispielsweise zeigten sie einen Apfel für das Wort „Apfel“. Oder sie machten das Verb „laufen“durch Laufbewegungen vor. Das funktionierte. Dieses bildhafte Verständigen hat Mahdiyeh am Anfang dann auch beim Deutschlernen sehr geholfen. „Deutsche Wörter, die mir so gezeigt wurden, sind gleich hängen geblieben“, sagt sie.
Bald darauf begann das Schuljahr und sie kam in die vierte Klasse der Grundschule. Am Nachmittag und auch beim Hausaufgabenmachen erhielt sie Nachhilfe. Mahdiyeh fand bald Freundinnen: Sie begann im Kinderchor ihres Ortes zu singen und auch im Sportverein zu turnen. Im Laufe des Schuljahrs wurde das Mädchen, das zuvor kein einziges Wort Deutsch sprechen konnte, eine der Besten in der Klasse.
Seit September geht sie nun aufs Gymnasium. Ihre Lieblingsfächer sind Mathe und Deutsch. Ihr aktueller Notendurchschnitt ist besser als 2,0. Sie singt im Schulchor mit, spielt Flöte, liest gerne Bücher und schwimmt auch bei der Wasserwacht. So ist sie den ganzen Tag über beschäftigt. So wie ihre Geschwister auch. Die 23-jährigen Zwillingsbrüder gehen in die Berufsschule. Ihre 20-jährige Schwester besucht die Fachoberschule. Ihr Vater macht gerade ein Berufspraktikum. Ihre Mutter bekommt zweimal die Woche Deutschunterricht. Sonst ist sie zu Hause und versorgt den Haushalt. Deshalb ist ihre Mutter untertags viel allein. Dann machen ihr die Sorgen um die Zukunft der Familie besonders zu schaffen.
Ihr Opa starb bei einer Bombenexplosion
Denn diese Zukunft ist ungewiss, weil der Asylantrag von Mahdiyehs Brüdern abgelehnt wurde. Das heißt: Sie sollen zurück nach Afghanistan. In ein Land, wo eine Gruppe namens Taliban durch Anschläge Angst verbreiten. Sie greifen auch Menschen an, die anders denken. Mahdiyehs Opa und der Cousin ihres Vaters wurden bei einer Bombenexplosion getötet.
Dass die Familie auseinandergerissen wird und die Brüder vielleicht schon bald zurückmüssen, belastet auch Mahdiyeh schwer. „Besonders wenn ich mal allein zu Hause bin, werde ich sehr traurig“, sagt sie. Denn die Familie ist schon seit Jahren auf der Flucht. Zunächst flohen sie in den Iran. Das war noch vor Mahdiyehs Geburt. Später lebten sie in der Türkei. Nun möchte die Familie Bayat endlich in einem Land bleiben können. Mahdiyeh, ihre Eltern und ihre Geschwister haben nur einen Wunsch: Zusammen in Sicherheit leben zu können.