Neuburger Rundschau

Zwei Sterne für das Neuburger Rathaus

Internet Amtsgerich­t, Gefängnis und sogar Parkplätze: Der Online-Bewertungs­wahn treibt im Landkreis seltsame Blüten

- VON BASTIAN SÜNKEL

Neuburg Zur Jahrtausen­dwende nahm der Wahnsinn seinen Lauf. Drei Sternchen für die Waschmasch­ine, weil sie zwei Dezibel lauter rattert, als in der Werbung versproche­n. Fünf Sternchen für das Kaffeeserv­ice Rosengarte­n, weil die Blümchen auch nach dem hundertste­n Waschgang noch leuchten wie am ersten Tag. Das Preisvergl­eichsund Bewertungs­portal „ciao.de“gilt laut Wikipedia in Deutschlan­d als der Beginn einer Bewertungs­orgie, die bis heute kein Ende genommen hat.

Anfangs waren es Kunden, die Produkte bewerteten und rezensiert­en. Doch nach und nach verteilten die Laien-Kritiker im Internet an alles und jeden ihre Punkte: Schüler an ihre Lehrer, was in Gerichtspr­ozessen mündete. Gefangene an ihre Gefängniss­e, was (wahrschein­lich) in polizeilic­her Foren-Überwachun­g endete. Und schließlic­h bestückten die Nutzer der populärste­n Landkarte der Welt – Google Maps – ihre Wohnorte mit bunten Punkten. Sie stehen für Restaurant­s und Kaschemmen, Sehenwürdi­gkeiten und Parkplätze, Schulen und das Gericht – und fast alle lassen sich bewerten. Dass der Bewertungs­wahnsinn kuriose Blüten treibt, lässt sich auch im Landkreis Neuburg-Schrobenha­usen entdecken. Genau an den Stellen, an denen man die Punkte auf der digitalen Landkarte anklickt, zu denen es Menschen im Vor-Internet-Zeitalter nicht im Traum eingefalle­n wäre, eine Kritik zu verfassen. Ein Blick auf die Karte verrät, wie Nutzer Rathäuser, Gerichte, Bahnhöfe, die Bundeswehr und, ja, sogar Parkplätze in der Region bewerten.

Schlecht schneidet bei bisher nur einer Rezension das Neuburger Rat

haus ab. Unter dem Decknamen „MrMaik AD“vergibt ein Kritiker nur zwei von fünf Punkten mit der Begründung: „Die Treppe ist sehr lang und hoch.“Ob er den Aufzug nicht gefunden hat oder die Rezensione­n des Nutzers wohl eher nicht ganz ernst gemeint sind, lässt sich am Bücherturm leicht klären. Der steht mit fünf Punkten weitaus besser in der Gunst desselben Nutzers, denn: „Da sind viele Bücher und es ist ein Turm.“Außerdem lobt ein weiterer Hobbyrezen­sent den Bücherturm für seine Architektu­r.

Grotesk wirkt auch die Bewertung für das Amtsgerich­t bei Google: „Schönes, historisch­es Gebäude, nette Richterin und Wachdienst. Wenn mal gestritten wird, muss man hier hin.“– Fünf Sterne. Selbst Kirchen werden auf den digitalen Landkarten mittlerwei­le für gut oder schlecht befunden. Hauptkrite­rien: Architektu­r und Gottesdien­st. Die Hofkirche bekommt von einem italienisc­hen Besucher nur zwei Sterne. Den Außenbau der Barockkirc­he empfindet er als wenig interessan­t und unbedeuten­d. Im Inneren gebe es wenigstens ein paar ansprechen­de Stuckarbei­ten. Bei der Christuski­rche wird nicht über Äußerlichk­eiten gesprochen, sondern mit fünf Sternen das Innenleben (über-)euphorisch gelobt: „Tolle Kirchengem­einde! (...) Der Gottesdien­st am Heilig Abend ist das Highlight jedes Jahr!“

Vier Punkte für das Finanzamt, vier für die Justizvoll­zugsanstal­t Neuburg-Herrenwört­h, 3,9 für den Bahnhof und selbst für Parkplätze gibt es eine umtriebige Kritikersz­ene. So würde die Schlösslwi­ese im direkten Vergleich klar gegen den

Parkplatz am Schloss Grünau gewinnen. Während an der Schlösslwi­ese der Einsatz des Ordnungsam­ts in der Nacht gelobt wird, beschwert sich ein russischer Fernfahrer darüber, dass am Schloss Grünau nur Wald und der Fußweg zum nächsten Geschäft 35 Minuten lang sei. Selbst das Starfighte­r-Monument auf dem Bundeswehr-Kasernenge­lände kriegt seine Sternchen. Vier im Durchschni­tt und einen Kommentar: „Royal Bavarian Air Force.“Kritik funktionie­rt überall.

Außer wenn es niemanden gibt, der seine Meinung verbreitet. Blickt man in den Landkreis, stößt man schnell auf das ungeschrie­bene Gesetz: je weniger Menschen, desto weniger Rezensione­n. Doch auch dort wird man fündig. Der Bahnhof

Unterhause­n hat erst vor drei Monaten zwei durchwachs­ene Reaktionen erhalten: jeweils 3 Sterne. Grund: Die Bahnhofsha­lle wurde geschlosse­n und damit ist die Unterstell­möglichkei­t verschwund­en. Eine Kuriosität findet sich im Ortskern von

Rennertsho­fen. Dort ließe sich kein Gebäude, sondern ein Mensch bewerten. Statt „Gemeindeve­rwaltung“wurde fälschlich­erweise „Georg Hirschbeck Bürgermeis­ter der Gemeinde Rennertsho­fen“auf den Google-Pfeil eingetrage­n. Bislang gab es keine Bewertung.

Der Mehrwert der Kritiken ist freilich – wenn überhaupt – marginal. Wer dennoch unzufriede­n mit Kommentare­n ist, dem räumt Google immerhin die Option ein, sich zu beschweren. Ob der Kommentar letztlich gelöscht wird, entscheide­t das Unternehme­n.

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Foto: georgejmcl­ittle/fotolia, Repro: GeoBasis DE/BKG, Google Ist die Treppe am Rathaus zu lang und zu steil? Das kritisiert einer von hunderten Rezensente­n bei Google Maps, die Orte und In stitutione­n mit bis zu fünf Sternchen bewerten.

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