Wenn Inländer steuerfrei einkaufen
Finanzen Der Rechnungshof kritisiert: Betrug an der Schweizer Grenze ist Tür und Tor geöffnet
Für Schweizer lohnt sich der Einkauf in Deutschland gleich doppelt – die Lebensmittel und anderen Waren des täglichen Bedarfs sind deutlich billiger als zu Hause. Und sie müssen keine Mehrwertsteuer bezahlen, sondern bekommen diese zurückerstattet. Das aber macht nicht nur dem deutschen Zoll viel Arbeit, sondern lockt zunehmend auch Betrüger an.
Nach einem Bericht des Bundesrechnungshofes für den Rechnungsprüfungsausschuss des Bundestags, der unserer Zeitung vorliegt, ist dem Missbrauch bei der Rückerstattung der Mehrwertsteuer Tür und Tor geöffnet, wodurch dem Fiskus Steuereinnahmen in Millionenhöhe entgehen. Die genaue Schadenshöhe kann das Finanzministerium allerdings nicht beziffern. Die Lage sei „prekär“und „nicht länger hinnehmbar“, so der Rechnungshof, es bestehe „akuter Handlungsbedarf“. Die Kritik fügt sich ein in andere Berichte über den Mehrwertsteuerbetrug durch sogenannte Karussell-Geschäfte innerhalb der EU, durch die Deutschland nach Schätzungen ein Schaden von etwa 23 Milliarden Euro pro Jahr entsteht.
Wie die Rechnungsprüfer auflisten, nehmen beispielsweise Deutsche die Hilfe von Bekannten oder Strohmännern in der Schweiz in Anspruch, um sich die Mehrwertsteuer erstatten zu lassen. Ihr Einkauf ist somit steuerfrei. Oder Schweizer sammeln in deutschen Supermärkten die Kassenbons von deutschen Kunden ein und lassen sich diese von der Zollverwaltung abstempeln. „Ein Risiko, dabei entdeckt zu werden, besteht dabei faktisch nicht, denn die Wahrscheinlichkeit, dass die Zollverwaltung beim Grenzübertritt kontrolliert, ob die Waren mitgeführt werden, ist sehr gering“, heißt es im Bericht.
Von 2013 bis 2015 stieg nach Angaben des Rechnungshofes die Zahl der durch den Zoll abgestempelten Ausfuhrkassenzettel (AKZ) von 17 auf 21,9 Millionen an, davon allein 15 Millionen an der Grenze zur Schweiz. In Stoßzeiten werden am Zollamt Konstanz-Autobahn „im Sekundentakt“bis zu 1000 Zettel pro Stunde abgefertigt. Und selbst das führe zu langen Rückstaus. „Die erforderlichen Kontrollen der Waren sind bei der Vielzahl der abzufertigenden AKZ nicht möglich“, moniert der Rechnungshof. Bundesweit seien etwa 160 Zollbeschäftigte dauerhaft ausschließlich mit dem Stempeln der Ausfuhrkassenzettel ausgelastet. Der Bund soll nach dem Willen der Rechnungsprüfer eine Wertgrenze einführen, wie dies auch Frankreich, Italien und Österreich gemacht haben. So soll die Mehrwertsteuer erst ab einem Einkauf von 175 Euro erstattet werden. Damit würde der Zoll „deutlich entlastet“. Gleichzeitig würden die Steuereinnahmen steigen. So geht das Finanzministerium davon aus, dass bereits ein Grenzbetrag von 100 Euro zu Mehreinnahmen „im dreistelligen Millionenbereich“führen würde.
Gleichwohl lehnt CDU-Finanzminister Wolfgang Schäuble die Einführung einer Wertgrenze ab, da dies möglicherweise dem Einzelhandel im grenznahen Gebiet schaden könnte. Ein Argument, das weder der Rechnungshof noch Ekin Deligöz von den Grünen, Mitglied im Rechnungsprüfungsausschuss, akzeptieren. „Ich denke nicht, dass der Umsatz in der Region wesentlich sinken würde, da die Hauptmotivation der Schweizer Kunden aus den Preisunterschieden und dem starken Wechselkurs resultiert“, sagt Deligöz gegenüber unserer Zeitung. Sie fordert den Finanzminister auf, rasch eine Mindestgrenze für den steuerfreien Einkauf einzuführen. „Das könnte die Situation deutlich entspannen und viele Probleme zeitgleich lösen.“