Mein fremder Körper
Menschen werden als Junge oder Mädchen geboren. Doch nicht immer fühlen sich Menschen, wie es ihnen ihr Körper vorgibt. Von drei Menschen, die sich gewandelt haben
Eine Frau mit Bart – als die Kunstfigur Conchita Wurst ins Rampenlicht trat, entfachte sie heftige Diskussionen. Doch anders als die Sängerin, die in der Realität als Mann durchs Leben geht, gibt es Menschen, die Tag und Nacht im falschen Körper leben. Männer, die bereits im Kindergarten rosa Kleidchen anziehen wollten, und Frauen, die sich als Mädchen ihre Zöpfe abgeschnitten haben, um nur nicht auszusehen wie ein Mädchen. Drei Menschen erzählen, wie sie vom Mann zur Frau wurden oder von der Frau zum Mann.
Mia, 39 Jahre (früher Matthias),
aus dem Landkreis Pfaffenhofen: Eigentlich führe ich ein ganz normales, spießiges Leben. Ich habe eine Frau, zwei Kinder, und wohne in einer Doppelhaushälfte. Es ist alles so, wie es die Gesellschaft von einem Mann erwartet. Doch ich habe schon früh gemerkt, dass ich anders bin. Das fing schon in der Grundschule an. Ich wollte viel lieber ein Mädchen sein, lange Haare haben und Kleider oder Röcke tragen. Aber der Wunsch, ein Mädchen sein zu können, war so abwegig, dass ich mich niemandem anvertraut und ihn jedes Mal verdrängt habe.
Im Teenager-Alter habe ich heimlich die Kleidung meiner Mutter anprobiert und mich darin richtig wohlgefühlt. Später, als ich eine Freundin hatte, habe ich damit aufgehört und den Drang, eine Frau sein zu wollen, wieder unterdrückt. Meine Freundin hat nichts von diesem Wunsch geahnt. Bis zu dem Zeitpunkt, als wir heiraten wollten. Da habe ich ihr erzählt, dass ich Frauenkleidung getragen habe – und sie hat es akzeptiert. 2006 und 2008 wurden unsere Kinder geboren. Solange die beiden noch im Babyalter waren, konnte ich weiterhin, gelegentlich, zu Hause Frauenkleidung anziehen. Aber als sie größer wurden, begann das Versteckspiel von Neuem. Und in mir hat sich immer mehr Druck aufgebaut und der Frust ist gestiegen.
Anfang 2015 habe ich mich dann einer Familienhelferin anvertraut. Sie hat mir einen Psychotherapeuten am Klinikum Ingolstadt empfohlen, der damals eine geschlossene Selbsthilfegruppe geleitet hat. Seit ich zu den Treffen gegangen bin, habe ich immer mehr an Selbstvertrauen ge- wonnen und gelernt, mein Ich zu akzeptieren. Bis ich dann den Mut gefunden habe, mich meiner ganzen Familie anzuvertrauen. Erst da haben meine Frau und meine Familie gemerkt, wie ernst mir die Sache ist. Vorher haben sie wohl eher gedacht, das wäre mehr ein Spleen. Einfach war die Erkenntnis für sie nicht.
Meine Kollegen habe ich vergangenes Jahr vor Weihnachten informiert. Gott sei Dank haben alle aufgeschlossen reagiert und unterstützen mich, so gut sie können. Da habe ich sehr großes Glück. Seitdem kann ich endlich öffentlich als Frau leben. Na klar, manchmal kommen mir schmunzelnde Ehepaare oder kichernde Teenager entgegen. Aber das stört mich nicht mehr. Ich bin, wie ich bin.
Ich trage zwar Frauenkleidung und habe lange Haare, aber meine Stimme klingt immer noch männlich und der Bartwuchs ist auch noch da, was mir sehr zu schaffen macht. Deshalb gehe ich auch regelmäßig zur Bartepilation und zur Logopädie. Außerdem habe ich vor ein paar Monaten mit der Hormontherapie begonnen. Was mir als erstes aufgefallen ist: Seitdem friere ich schnell und oft. Und ich bin auch sensibler geworden. Mittlerweile sagen meine Kinder nicht mehr Papa zu mir, sondern nennen mich bei meinem neuen Vornamen – Mia. Im Ausweis ist der neue Name aber noch nicht eingetragen. Dazu sind zwei psychologische Gutachten nötig. Die werden mich rund 1500 Euro kosten.
Ich hoffe, dass ich bald ganz zur Frau werden kann. Doch vor einer Operation sind 18 Monate Psychotherapie gesetzlich vorgeschrieben. Es dauert also noch ein bisschen. Aber meinen Entschluss, mich zu meinem Frau-Sein zu bekennen, bereue ich auf keinen Fall. Der ganze Druck ist von mir abgefallen und ich weiß, dass ich auf diesem Weg nicht allein bin. Meine Frau und meine Familie stehen hinter mir. Ob unsere Ehe dieser Entwicklung standhält? Ich hoffe es, aber ich weiß es nicht. Denn so locker-flockig steckt das niemand weg.
Maximilian*, 31 Jahre (früher Stef fi*),
aus Ingolstadt: In meinem ganzen Leben habe ich nur zweimal ein Kleid getragen: bei einer Hochzeit und meiner Einschulung. Wenn man davon heute Fotos anschaut, merkt man, dass ich mich darin schon damals, als Kind, furchtbar unwohl gefühlt habe. Ich war schon immer burschikos, habe im Matsch gespielt und mich mit den Jungs geprügelt. Schwimmen in der Schule habe ich grundsätzlich abgelehnt, ich wollte keinen Badeanzug anziehen. Mit 16 habe ich mich dann als lesbisch geoutet. Dass ich eigentlich ein Mann sein könnte, das ist mir damals noch nicht in den Sinn gekommen. Vor zwei Jahren hatte ich dann ein Burn-out, einen vollkommenen Zusammenbruch. Eine Therapeutin hat schließlich bemerkt, was mit mir los ist. Seitdem lebe ich als Mann und weiß jetzt: Vorher war ich einfach nicht vollständig. Ich nehme männliche Hormone und ich merke schon jetzt, dass mein Gesicht kantiger geworden ist, die Oberarme sind breiter geworden und Ende vergangenen Jahres bin ich in den Stimmbruch gekommen. Ich mache gerade noch einmal die Pubertät durch, mit all den Pickeln und den vielen Launen. Meine ganze Familie steht hinter mir, auch meine Kollegen wissen Bescheid. So manchem rutscht zwar im Gespräch noch ein „sie“durch, aber das nehme ich mit Humor, da bin ich ganz entspannt. Jetzt hoffe ich, dass es mit den Operationen so schnell wie möglich geht. Aber der Weg zum Mann ist komplizierter als der umgekehrte Weg. Als erstes steht hoffentlich noch in diesem Jahr die Brustamputation an. Bislang habe ich immer abgebunden, mit speziellen Bindern. Aber ich freue mich drauf, endlich einmal oben ohne am See liegen zu können. Und im Stehen pinkeln zu können. Mein Psychologe hat mir auch gleich, mit einem Augenzwinkern, eine Anweisung fürs Männerklo mitgegeben. „Die stehen da nur, die reden nicht“, hat er gesagt.
Den Wunsch nach eigenen Kindern hatte ich nie. Für meine Nichten bin ich jetzt der Onkel Maximilian. Bislang habe ich keine einzige negative Erfahrung gemacht. Nur eins stört mich ein bisschen: Mit 1,65 Meter bin ich einfach etwas klein für einen Mann. Ob ich noch ein paar typische weibliche Eigenschaften habe? Ich verstehe immer noch nichts von Technik und rumzicken kann ich auch noch sehr gut.
Maria*, 51 Jahre (früher Albert*),
aus dem Landkreis Eichstätt: Wenn ich als Kind nach einer Puppe gegriffen habe, wurde ich sofort verprügelt. Akzeptanz bei meinem „Anderssein“habe ich nicht erfahren. Das war schrecklich. Schließlich wusste ich schon mit vier Jahren, dass ich ein Mädchen bin. Und, dass das Ding da unten nicht zu mir gehört und weg muss. Heimlich habe ich mir Kleider angezogen – und wurde wieder verprügelt, als ich erwischt wurde. Die körperliche Veränderung in der Pubertät hat mich schier in den Wahnsinn getrieben. Auf massiven Druck hin – psychisch und physisch – versuchte ich, ein Junge zu sein. So habe ich eine typisch männliche Ausbildung zum Elektroinstallateur gemacht. Als ich in meine erste Wohnung gezogen bin, fühlte ich mich endlich frei. Ich habe mir zum ersten Mal selbst Frauenkleider gekauft. Eine Verkäuferin hat mich dann mal gefragt: „Ist das für Sie? Das steht Ihnen nicht so!“Und da musste ich dann auch lächeln. Sie hat mich dann auch noch gut beraten. Allerdings bin ich immer nur in anderen Städten als Frau aufgetreten. Geschminkt und umgezogen habe ich mich immer im Auto.
Mit 42 Jahren wurde der Zustand unerträglich. Ich merkte: So kann es nicht weitergehen, es muss etwas passieren. Ich begann, mir Hilfe zu suchen. Ein Psychologieprofessor, der mich behandelte und in der Thematik Transsexualität sehr erfahren ist, meinte, nachdem ich ihm meine Geschichte erzählt hatte, nur: „Oh mein Gott. Bei Ihnen ist es höchste Eisenbahn.“Da hatte ich schon mehrere Selbstmordversuche hinter mir. Nach einer eingehenden psychologischen Begutachtung, mehreren Gutachten und Indikationsschreiben und der Namensänderung wurde mir nach zwei schier endlosen Jahren die Operation genehmigt. Im Juli 2014 war die erste OP. Danach hatte ich höllische Schmerzen und allmählich realisierte ich: Es ist endlich vorbei, alles ist nun richtig. Ich habe geheult wie ein Schlosshund vor lauter Glück.
Ich wohne in einem kleinen Dorf. Einige Menschen dort können nicht damit umgehen, dass ich jetzt eine Frau bin. So bin ich auch schon bedroht worden. „Am liebsten würde ich dich überfahren“, wurde mir auch schon gesagt. Trotzdem habe ich von den meisten anderen Menschen wirkliche Toleranz und Akzeptanz erfahren. In der Arbeit habe ich keine Probleme. Da kann ich mich auch als Frau durchsetzen.
Meine Mutter hat sich zwar anfangs gefragt „Was habe ich nur falsch gemacht?“, doch jetzt akzeptiert sie mich als Tochter. Dafür liebe ich sie.