„Großeltern sollten etwas Besonderes sein“
Familie Die Rolle von Oma und Opa ist vielseitiger geworden. Für manche sind die Enkelkinder nun die Kür, andere übernehmen einen Teil der Pflicht. Und für andere wiederum sind die Kleinen ein Jungbrunnen
Neulich bei der Hochzeit des besten Freundes unseres Sohnes. Große Feier, viele Gäste, darunter auch zahlreiche Kinder und einige Babys. Manche Sprösslinge fehlten. Sie waren bei den Großeltern abgestellt worden. Andere wurden während des Festessens von der Oma herumgefahren, oder der Opa kümmerte sich darum, dass die Enkelin sich nicht langweilte. Großeltern sind gern gesehen heute. Großfamiliäres Kuscheln scheint angesagt. Doch was erwarten sich die jungen Familien von den Altvorderen?
„Großeltern dürfen die Kinder gern verwöhnen“, sagt mir einer der Freunde meines Sohnes. Und dann fände er es gut, wenn die Kinder von Oma und Opa lernen könnten, denn die hätten doch einen ganz anderen Erfahrungshorizont. So weit würde mein Sohn nicht gehen. Er wünscht sich keine Einmischung in die Erziehung der Eltern und denkt da wohl an seine eigenen Großeltern, deren Litaneien, dass früher alles besser war, ihm und seinen Brüdern ziemlich auf die Nerven gingen.
Ich fühle mich auch nicht als zweite Erziehungsinstanz. Aber ich freue mich, wenn unsere Enkelin uns zeigt, wie gern sie bei uns ist. Und mir geht es wie einer befreundeten Kollegin, die ihre Enkelin gerne mal verwöhnt, aber dann auch froh ist, wenn sie sie wieder abgeben kann. „Ich will kein zweites Mal in die Mutterrolle schlüpfen“, erklärt sie bestimmt. „Großeltern sollten was Besonderes sein.“Noch mal einsteigen ins Multi-TaskingHamsterrad ist für viele der heutigen Großmütter keine Option.
Das bestätigt auch der Historiker Erhard Chvojka. „Die Bandbreite des möglichen Verhaltens der Großeltern hat sich stark vergrößert“, sagt er, „vor allem deshalb, weil die Großeltern immer mehr auch im fortgeschrittenen Alter ihre Lebensentwürfe selbst in die Hand nehmen.“Vor 60 Jahren sei das noch ganz anders gewesen. Hinzu kommt, dass Opa und Oma heute auch keiner einheitlichen Altersgruppe mehr zuzurechnen sind und zwischen dem Verhalten 45- und 85-Jähriger eben riesige Unterschiede bestehen. Relativ junge Großmütter etwa seien nicht bereit, dem Stereotyp der Oma im Lehnstuhl zu entsprechen, aber auch ältere Frauen legten immer mehr Wert auf ihr eigenes Leben. Andererseits „nehmen die mobilen Großeltern von heute auch mal die Enkel mit auf Reisen“– wenn beide Seiten es wollen. Dass Großeltern Kinder großziehen, ist dagegen in unserer Ge- Großeltern von heute sind in der Regel zwar älter aber auch fitter, sodass sie auch gerne mal mit ihren Enkeln toben oder Ball spielen können und nicht mehr nur die Rolle des „Vorlese Opas“innehaben.
eher selten geworden. Doch wenn die Eltern sich scheiden lassen, wenn die Mutter stirbt oder – wie bei meiner Freundin einst – weit weg in den USA arbeitet, sind Oma und Opa sicher auch heute gefragt. Zu schaden scheint die großelterliche Erziehung nicht: Meine Freundin ist beruflich höchst erfolgreich. Auch Barack Obama, Eric Clapton, Jean Paul Sartre oder Loriot hatten später keine Probleme damit, dass sie bei den Großeltern aufwuchsen.
Heute springen die Älteren vor allem dann ein, wenn beide Eltern arbeiten und es mit der Kita oder dem Kindergarten nicht klappt. Doch seit 1996 ist der Anteil der Großeltern, die Enkelkinder betreuen, laut dem Deutschen Zentrum für Altersfragen von etwa einem Drittel auf ein knappes Viertel gesunken. Das könne einerseits an den steigenden räumlichen Distanzen zwischen den Familienmitgliedern liegen, heißt es in dem Alters-Gutachten. Zugleich seien viele Großmütter mittlerweile berufstätig und hätten nicht die nötige Zeit, sich um die Enkelkinder zu kümmern.
Früher war das aber nicht besser.
Als wir Eltern waren – in den 1970er Jahren – war das Verhältnis zu den Altvorderen eher ein schwieriges, geprägt von wechselseitigem Unverständnis. Da wollte man so wenig Unterstützung wie möglich annehsellschaft Laut „Familiensurvey“des Deutschen Jugendinstituts leben fünf Prozent der Großeltern im selben Haushalt wie die Enkel, zwei Drittel wohnen zumindest in der Nähe. Jedes vierte Großelternpaar betreut die Enkel regelmäßig, so der aktuelle „Alters survey“des Deutschen Zentrums für Altersfragen. Wenn es ums spora dische Aushelfen geht, tun das so gar mehr als die Hälfte. (li) O
Eckart Voland: Grand motherhood: The Evolutionary Sig nificance of the Second Half of Female Life, Rutgers Univ Pr, 354 Seiten, 32,49 Euro. Erhard Chvojka: Die Ge schichte der Großelternrollen vom 16. bis zum 20. Jahrhundert, Böhlau Verlag, 378 Seiten, 45 Euro.
men, weil man auch die Ratschläge nicht hören wollte. Heute sind die jungen Familien den älteren gegenüber tolerant. Man rebelliert eben nicht gegen die Eltern, deren Hilfe man dringend braucht. Allzu oft sind die Familien durch berufliche Zwänge auseinandergerissen. Auch Multi-Kulti-Familien wie die unsere müssen sich neu orientieren. Wenn die eigenen Eltern weit weg sind, ist man doppelt froh um die Schwiegereltern. Sind doch Oma und Opa nach Eltern und Kindergarten die wichtigsten Bezugspersonen für Kinder unter sechs, wie das Deutsche Jugendinstitut in München feststellt, das sich trotzdem über die Harmonie zwischen Alt und Jung zu wundern scheint: „Wenn es Probleme gibt, entstehen diese meist zwischen Eltern und Kindern und nur selten zwischen Großeltern und Enkeln.“Klar, schließlich sind die Eltern für die Erziehung und damit den Alltag zuständig.
Doch ohne die Großeltern wäre die Quote berufstätiger Mütter wohl noch geringer. Denn das Angebot von Kindergärten und Krippen ist noch lange nicht ausreichend. Da ist die steigende Lebenserwartung fast schon ein Segen. Gern gesehen sind auch die Stiefgroßeltern, die bei einer Patchworkfamilie hinzukommen. So wie bei meiner kinderlosen Freundin, die durch die Heirat mit einem geschiedenen Mann ganz unverhofft Großmutter wurde – und eine stolze dazu. Die Familie hat sich zu einem weitgespannten Netzwerk entwickelt. Und die – flexibler gewordenen – Großeltern sind gewillt, auch Grenzen zu überwinden, wenn es die Betreuung der Enkel erfordert. Eine Freundin fliegt alle paar Monate zu ihrem Sohn nach Skandinavien, um dort auszuhelfen. Nicht ganz uneigennützig, schließlich sollen die Enkelkinder auch die deutsche Großmutter gut genug kennenlernen, um sie ins Herz zu schließen.
Außerdem soll der Umgang mit den Enkelkindern jung halten. Laut einer Studie des Women’s Health Aging Projects in Australien, für die 186 Frauen im Alter von 57 bis 68
Kein zweites Mal in die Mutterrolle schlüpfen Zahlen und Fakten Plötzlich Oma oder Opa: Patchwork macht’s möglich
Jahren untersucht wurden, verbessert sich die Gehirnleistung deutlich, wenn die Großmütter regelmäßig Kontakt mit den Enkeln haben. Am besten schnitten die Omas ab, die einmal in der Woche auf ihre Enkel aufpassen. Klingt gut. Doch was machen ältere Frauen, die keine Enkelkinder fürs Anti-Aging haben? Ganz einfach: Sie werden LeihOma. Auf einem Blog schwärmt eine solche Leih-Oma von ihrem neuen Glück. Der betreute kleine Junge sei für sie eine Art Lebensretter, weil er ihrem Alltag neuen Inhalt gibt.
Denn nach der Menopause fallen viele Frauen in ein tiefes Loch, das manche in Form der „altruistisch helfenden Großmutter“überwinden, wie Eckart Voland, Professor für Biophilosophie an der Universität Gießen, es formuliert. Vielleicht, meint er, „tun Großmütter nur das, was man mit „making the best of a bad job“bezeichnet.“Sie machen das Beste aus ihrer Situation. „Wenn man schon mal alt wird und die eigene Fortpflanzung versperrt ist, hilft man halt den Verwandten, allen voran Kindern und Kindeskindern“– und sorgt so für das Fortkommen der Menschheit. Denn Frauen, die sich der Unterstützung ihrer Mütter sicher sein könnten, seien eher bereit, mehrere Kinder zu bekommen.
Heute ist das oft später der Fall als früher. Nur gut, dass auch die Großeltern immer älter werden und dabei relativ fit bleiben. Meist sind sie auch großzügig – mit ihrer Zeit und mit ihrem Geld. Auch das sorgt für Sicherheit.