Der mit dem Bauchplatscher
Porträt In London gewinnt Johannes Vetter das einzige Gold für Deutschland. In die Freude mischt sich Genugtuung. Seinen Heimatverein verließ der 24-Jährige im Streit
Im Moment seines größten Triumphes kann Johannes Vetter nicht anders. In seiner Sportart, dem Speerwurf, würde man sagen: Er haut einen raus. Sein Sportgerät hatte Vetter zuvor auf 89,89 Meter geschleudert, für Deutschland hat er so die einzige Goldmedaille der Leichtathletikweltmeisterschaft in London gewonnen. Nun schickt er verbale Giftpfeile hinterher. „Ich glaube, die in Dresden werden sich jetzt gewaltig in den Arsch beißen“, betont der 24-Jährige nach seinem Titel in London. Und schiebt hinterher: „Das sollen sie auch tun.“Bei Vetter sitzt der Stachel tief.
Am Ziel angekommen, hätte er die Vergangenheit ruhen lassen können. Schwarz-rot-goldene Fahne umhängen, Ehrenrunde laufen, in Kameras jubeln. Stattdessen nutzt der Athlet seinen WM-Titel, um mit jenen abzurechnen, von denen er sich nicht genug wertgeschätzt sieht. Vor drei Jahren brach der gebürtige Dresdner seine Ausbildung bei der Landespolizei ab, wechselte zur Sportfördergruppe der Bundeswehr, verließ den Dresdner SC, zog 620 Kilometer gen Südwesten und schloss sich der LG Offenburg an. Seine Begründung: In Dresden sei er nicht seinem Talent und seinen Leistungen entsprechend gefördert worden. Vetter, der inzwischen sekundenschnell zwischen Sächsisch und Badisch wechseln kann, erklärt, er habe alles hinter sich gelassen, sei komplett neue Wege gegangenen.
In Offenburg empfängt ihn Bundestrainer Boris Oberg- föll, Ehemann der ehemaligen Weltmeisterin Christina Obergföll, mit offenen Armen. Hauptaugenmerk: die Technik. Vetters Bauchplatscher ist Markenzeichen geworden. Nach dem Wurf landet er auf dem Boden, vollzieht eine Art Wellenbewegung und rappelt sich wieder auf. Als würde ihn die Energie des Wurfes durchfluten. Dass Vetter die Ehre der deutschen Leichtathletik retten würde, überrascht keinen Branchenkenner. Vor den Titelkämpfen galt er als Medaillenkandidat, als Weltjahresbester war er angereist. Unter Trainer Obergföll hat er seine Bestweite um fast 15 Meter gesteigert; im Juli warf er deutschen Rekord; in der Qualifikation für das WM-Finale katapultierte er seinen Speer jenseits der 90 Meter. Während sich Mitstreiter im Laufe eines Wettkampfes steigern, setzt der 24-Jährige gerne im ersten Versuch Zeichen. Und bringt damit die Konkurrenz in eine Drucksituation. Das passt ins Bild des Hau-drauf-Typen.
Vetter ist ein Modellathlet, 105 Kilogramm Muskelmasse verteilen sich auf eine Größe von 1,88 Meter. Sein linkes Schulterblatt ziert ein spartanischer Speerwerfer im Umhang. Vor sechs Jahren ließ sich der Mann mit den rasierten Schläfen den antiken Krieger in die Haut stechen – nach seinem Debüt im Nationaltrikot. Vetter begründete damals, ihm sei klar gewesen, dass Speerwurf fortan Teil seines Lebens sein würde. Letzte Zweifel hat der Weltmeistertitel beseitigt. Johannes Graf