Im Dunkel leuchten die Psalmen
Die Bayerische Staatsbibliothek zeigt ihre erstaunliche Sammlung: Picasso, Warhol, Beuys und mehr
München Der Clou kommt zum Schluss. Bei guten Büchern ist das meistens so, bei Künstlerbüchern nicht unbedingt, denn sie folgen anderen Kriterien. Im Fall „Showcase“, der neuen Ausstellung der Bayerischen Staatsbibliothek, macht es allerdings Sinn, den Parcours am Ende zu beginnen – im Separee.
Dort wartet das außergewöhnlichste unter all den ans Dämmerlicht beförderten Künstlerpublikationen. Extra für diese Schau hat Emil Siemeister Zeichnungen in Nachtleuchtfarben geschaffen und damit einen fluoreszierend flirrenden Bogen zur erlesenen Buchmalerei-Sammlung des Hauses geschlagen. Der gelernte Grafiker bringt Motive aus Hans Mielichs erst kürzlich mit unbeschreiblichem Aufwand restaurierten Illuminationen zweier Chorbücher mit Bußpsalmvertonungen von Orlando di Lasso in die Dreidimensionalität. Darunter ein Hirsch mit Reiter und ein Fantasiegefährt, auf dem ein Sensenmann das Kommando gibt.
Man braucht ein paar Sekunden, um im völlig abgedunkelten Raum etwas zu erkennen, vor allem, wenn das Leuchten der Farben nachlässt und die „Batterie“durch einen kurzen Lichtkick wieder aufgetankt werden muss. Aber das schärft den Blick für die gerne mal fitzeligen Details der 71 anderen Exponate völlig unterschiedlicher Künstler zwischen dem 1827 gestorbenen Universalkönner William Blake und dem US-Graffiti-Experten CUBA, der sich an Buchstaben abarbeitet. Dazwischen: Picasso, Warhol, Schmerzensmutter Louise Bourgeois und Natur-Einsammler Herman de Vries, Chuck Close, der vom Porträt nicht lassen kann, oder Cartoonist Art Spiegelman mit seiner legendären „Maus“, die den Holocaust überlebt.
Unter einen Hut geht das alles nicht, aber das ist ja der Reiz dieser Aneinanderreihung von Manifestschreibern (Futurist Filippo Tommaso Marinetti) und AlphabetAkrobaten, Künstlern, die einfach im üblichen Stil weiterwerkeln, und denen, die mit dem Medium ungeniert spielen. Und bis auf Dieter Roths „Poeterei“, die statt der klassischen Salamischeibe ein ebenso fettiges, angeblich „übelriechendes Stück Hammelfleisch“birgt, würde man nur zu gerne in den handlichen bis riesig großen Bänden blättern. Aber es geht halt nicht, das müssen gerade die Bibliophilen akzeptieren.
Nun sieht man durch die Vitrinen bloß einen kleinen Teil der Geschichte. Umso mehr sticht das Dreidimensionale ins Auge wie etwa Ed Ruschas Leporello mit den Gebäuden des Sunset Strip oder Joseph Beuys’ „1a gebratene Fischgräte“. Dieses typische Multiple setzt sich aus Karton, Schere, einem Buch, das den Meister auf Fotos zeigt, und einer signierten Garnrolle mit eingewickelter Gräte zusammen. Die Auflage geht in die Hunderte, doch die 1a fixierte Aura des Schamanen ist selbstredend noch durch die Glasscheibe zu spüren.
Man ist verblüfft über diese Kollektion der altehrwürdigen Bibliothek. Schon seit 1915 wird gezielt gesammelt. Rotzfreches Zeug gehört dazu, auch nicht immer Jugendfreies, vor allem aber sind etliche Raritäten des Genres dabei. Und mit 14000 Werken dürfte der „Showcase“– also der VitrinenFüllstoff – so schnell nicht ausgehen.
OShowcase – Künstlerbücher Bis 7. Januar in der Bayerischen Staatsbi bliothek, Ludwigstraße 16, Mo bis Fr 10 bis 18, So 13 bis 17 Uhr. Eintritt frei, Katalog 39 Euro, Führungen Do 16.30 und So 14 Uhr.