Schöne neue Einkaufswelt
Diesmal wagt der Grantler einen Ausflug. Weg vom Stein, auf dem er für gewöhnlich sitzt, rein in die Untere Altstadt, wo das Herz des Einzelhandels schlägt. Wo individuelle Beratung groß geschrieben und die Stammkundschaft mit Namen begrüßt wird. Wo Zeit kein Fremdwort ist, weil man in inhabergeführten Geschäften weiß, wie wichtig der persönliche Kontakt ist. So die Überzeugung des Grantlers.
In einer Zeit, in der alles einen Klick entfernt und zwischenmenschliche Begegnung rar ist, kann ein Wollgeschäft ein Rettungsanker sein. Wie warm und wohlig es sich ausnimmt. Zwischen Strickanleitungen und endlosen Garnrollen scheint die Zeit still zu stehen. Zarte Bande werden geknüpft zwischen Nadel und Faden und Kunden und Angestellten, die geduldig erklären, wie die perfekte Wintermütze gelingt. Zum Dahinschmelzen.
Mit einem Loch in der Wollmütze seiner Oma steht der Grantler vor verschlossener Tür. Wegen Geschäftsaufgabe geschlossen. Ein kalter Wind zieht durch die offenen Maschen und trifft seine Schläfe. Jetzt bloß nicht grantig werden, schließlich ist Ausflugstag, sagt er sich. Weiter zum Farbengeschäft. Längst geschlossen, erfährt er. Dabei erinnert er sich als sei es gestern, wie er mit seinem Vater stolz den großen Farbeimer mit der Aufschrift „Royalblau“von dort in sein Kinderzimmer schleppte und dann die größte Sauerei seit Jackson Pollock veranstaltete. Die Geburtsstunde des Grantlers.
Er versucht es an zwei weiteren Stationen: einem Kino und einem Tante-Emma-Laden. Überall das Gleiche. Was bleibt, ist Erinnerung. Zum Teufel, wie konnte es soweit kommen, fragt er sich? Sein Kopf wird langsam rot. An gefühlt zehn Handyläden und ebenso vielen Brillengeschäften ist er vorbei gekommen. Zuerst die Augen versauen und dann reparieren – reife Leistung! Der Grantler ist auf Touren. Auf solche Innenstädte kann er verzichten: Handelsketten, Filialisten, Franchisenehmer. Gesichtslose Konsumtempel aus der Retorte, die quer über das Land Fußgängerzonen samt Kunden gleichschalten. Ihm reicht’s.
Auf dem Weg zurück zum Grantlereck spricht ihn eine Verkäuferin an. Sie hat das Loch in seiner Mütze entdeckt. Falls ihm daran gelegen sei, könne sie es reparieren, fragt sie zuvorkommend. Verdutzt sieht er sie an. Das Geschäft hatte er ganz übersehen – schon längst hätte er bei einem Optiker seine Brillenstärke überprüfen lassen müssen. Nebenan ist einer. Vielleicht war der Ausflug in die Untere Altstadt doch nicht umsonst. Allemal besser als ein aus dem Boden gestampftes Einkaufszentrum auf der grünen Wiese, dachte der Grantler.