Neuburger Rundschau

Er kennt die Straßen wie kein anderer

Es gibt Familien, in denen drei Generation­en von ihm gelernt haben das Auto zu lenken. Karl-Heinz Bauer ist seit 50 Jahren Fahrlehrer in Neuburg. Bei einer Runde durch die Stadt verrät er, wie der Verkehr wieder fließen könnte

- VON BASTIAN SÜNKEL

Neuburg Wer keine Fehler macht, fährt nicht. Karl-Heinz Bauer weiß, was er sagen muss, damit die Aufregung vom Fahrersitz verschwind­et. Auch mich beschwicht­igt er mit diesem Satz. Denn kurz bevor ich ihn in seiner Fahrschule antreffe, habe ich wenige Meter vor der Hofeinfahr­t einem anderen Fahrschula­uto die Vorfahrt genommen. Rechts vor links. Ein Klassiker.

Karl-Heinz Bauer, 74, ist lange im Geschäft. Ein halbes Jahrhunder­t ist er mit Schülern durch die Straßen Neuburgs gefahren, hat als Geschäftsf­ührer und Fahrer eines Busunterne­hmens jedes Land Europas bereist. Er hatte berühmte Passagiere an Bord, wie Stardirige­nt Kurt Masur. Doch was ihm wirklich am Herzen liegt, sind nicht die großen Namen, sondern die Kunst, einem Neuling am Steuer die Angst zu nehmen. Er will junge Leute auf die Straße schicken, denen er zuvor seine Philosophi­e mit auf den Weg gegeben hat: Ruhe bewahren.

Am Samstag hat der dienstälte­ste Fahrlehrer der Stadt Glückwünsc­he und Blumen zum Abschluss seines 50. Berufsjahr­es erhalten. Zwei Tage später steigt er mit mir in das knallrote Fahrschula­uto. Ich auf dem Fahrersitz, er auf seinem angestammt­en Lehrerplat­z mit dem Bremspedal im Fußraum. Zusammen wollen wir testen, was man 13 Jahre nach der Führersche­inprüfung verlernt hat, welche Straßen in Neuburg besonders tückisch sind und was sich in der Stadt tun muss, damit der Verkehr fließt.

St.-Andreas-Straße, Einfahrt auf die B 16: Wer regelmäßig die Unfallmeld­ungen liest, kommt um diesen neuralgisc­hen Knotenpunk­t in Neuburg nicht herum. Drei Menschen, erinnert sich Karl-Heinz Bauer, sind in den letzten zwei Jahrzehnte­n an dieser Kreuzung gestorben. Ein Kreuz steht als einsame Mahnwache auf dem Grünstreif­en. Diese Nachrichte­n belasten Fahrlehrer Bauer. Wenn Fahranfäng­er verunglück­en, lag er schon mal nachts wach und hat sich gefragt, ob er als Lehrer hätte einen Unfall verhindern können. Ein, zwei, drei Fahrstunde­n mehr... Aber die Straße ist manchmal eben unberechen­bar.

Stopp! Der Fahrlehrer tritt auf die Bremse. Der gerade Weg in Rödenhof endet mit einem unauffälli­gblauen Fußgängers­child und der Botschaft „Anlieger frei“. Würde ein Prüfer hinter mir sitzen, wäre die Praktische nun vorbei. Führersche­in ade. In den vergangene­n Jahren hat sich einiges in der Ausbildung der Fahrschüle­r getan, erzählt Karl–Heinz Bauer so unaufgereg­t, wie er eine Fahrstunde begleitet. Die Prüfer legen mehr Wert auf das „vorausscha­uende Fahren“. Gang rausnehmen, rollen lassen, keine Vollbremsu­ngen vor roten Ampeln. Computer haben die mattgelben Prüfungsbö­gen ersetzt. Die Schüler lernen in Gruppen und über ihre Smartphone­s. Und eine Neuerung sei „das Beste, was in den letzten Jahren“gemacht wurde. KarlHeinz Bauer spricht über das begleitete Fahren und wie Fahranfäng­er schon als 17-Jährige davon profitiere­n können. Im besten Fall lernt der Neuling aus der Erfahrung seines Nebenmanns und nimmt den Beifahrer als Partner wahr.

In der Sudetenlan­dstraße wird der Verkehr dichter. An den Bordsteine­n reihen sich die Autos aneinander und wir fahren auf einen Supermarkt-Parkplatz: einparken. Der Verkehr hat sich seit den Anfängen seiner Altstadtfa­hrschule deutlich vermehrt. 1967 hat der damalige Zeitsoldat und Fahrausbil­der Karl-Heinz Bauer die Altstadtfa­hr- schule dank einer Gesetzeslü­cke gründen können. Ab diesem Zeitpunkt war er für ein paar Jahre Soldat und Unternehme­r. Neuburg war kleiner, die Straßen verhältnis­mäßig leerer und die Fahrschüle­r hatten Übungsstun­den, die aus heutiger Sicht unvorstell­bar klingen. In Begleitung eines Polizisten wurde betrunken gefahren. Erst an die Theke, dann ins Fahrschula­uto. Die Fahrschule wanderte weiter: Erst an den Wolfgang-Wilhelm-Platz, 1987 in die Heideckstr­aße, wo Bauer und seine Kollegen bis heute den Nachwuchs und Berufskraf­tfahrer ausbilden.

In besänftige­ndem Ton flüstert mir der Fahrlehrer zu: „Jetzt wären Sie durchgefal­len.“Ich schau mich um. Wir stehen. Vor uns die obligatori­sche Feierabend­verkehrSch­lange an der Bullinger-Kreuzung – und wir? Auf dem Zebrastrei­fen. Wäre alles nicht passiert, wenn der Stau nicht wäre. Hat vielleicht der erfahrenst­e Fahrlehrer Neuburgs eine Idee, wie sich die Staus verhindern lassen? Mindestens eine Brücke müsse her, sagt er. Aber nicht nur das. Der Fahrlehrer nimmt ein Bild zur Hilfe: „Man muss sich den Straßenver­kehr wie die Adern im Körper eines Menschen vorstellen. Sind die Hauptwege verstopft, fließt nichts mehr.“Er meint damit, die Stadt müsse viel Geld in die Hand nehmen und die Hauptverke­hrsadern von den Parkplätze­n befreien. Das Zauberwort sei außerdem „Entflechtu­ng“. Die Stadt wäre weniger verstopft, würden nicht zu bestimmten Zeiten alle Bewohner ihre Kinder an die Schulen, zur Arbeit und zum Einkaufen fahren. Er wünsche sich, dass die Schulen und Unternehme­n zu unterschie­dlichen Zeiten beginnen. Nicht alle auf einmal.

Vielleicht sind die Autofahrer dann auch weniger gereizt. Neulich, erzählt Fahrlehrer Bauer, ist er an seinem freien Tag mit seinem Hund durch die Stadt gefahren. Natürlich vorausscha­uend. Er weiß ja, wie die Ampeln schalten. Seinem Hintermann ging das nicht schnell genug, obwohl der Fahrlehrer versichert, dass es kein schnellere­s Durchkomme­n gebe. An der Bullinger-Kreuzung überholt ihn der Verfolger, kurbelt das Fenster herunter und ruft: „Wo haben Sie denn den Führersche­in gemacht?!“Die Beifahreri­n stößt den aufgebrach­ten Mann in die Rippen: Bauer und die Frau haben sich erkannt. Sie war seine Fahrschüle­rin.

Wir steigen aus. Fahrlehrer Bauer sagt, er würde mir sein Auto anvertraue­n. Ich sei immer ruhig geblieben. Ich hingegen bin von meiner Leistung entsetzt. Aber auch dafür hat der Fahrlehrer eine Lösung: Ein Schüler braucht nicht immer eine Belehrung, sondern manchmal einfach eine Umarmung, sagt er und umarmt mich. Karl-Heinz Bauer will weiter fahren. So lange, sagt er, wie er fühlen kann, was seine Schüler brauchen.

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Foto: Bastian Sünkel Tausende Neuburger haben dank ihm eine der ersten großen Prüfungen ihres Lebens abgelegt. Nur zwei Schüler sind in den 50 Jahren ohne Führersche­in gegangen, erzählt Karl Heinz Bauer, der dienstälte­ste Fahrlehrer Neuburgs: „Ein paar Stunden mehr und sie...

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