Klick, klick: Polizei
Seit knapp einem Jahr ist das Polizeipräsidium Oberbayern Nord in sozialen Netzwerken präsent. Es warnt die Bevölkerung, bittet um Aufklärung und betreibt Imagepflege. Und es muss Kritik einstecken
Ingolstadt Früher klickten bei der Polizei Handschellen, heute sind es Mäuse – nicht nur, aber auch. Kathrin Schulz ist Mitglied im Social Media Team des Polizeipräsidiums Oberbayern Nord und sitzt in ihrem Ingolstädter Büro vor einem modernen Apple-Rechner. Maus, Tastatur und Flachbildschirm sind alles, was die gelernte Mediengestalterin zum Arbeiten braucht. Derzeit bastelt sie an einem Bild, das im Laufe des Tages auf der Facebook-Seite des Präsidiums gepostet werden soll. Es handelt von einem Vorfall im Raum Pfaffenhofen, bei dem ein Mann verdächtigt wird, Kinder mittels eines Teddys in einen Kastenwagen zu locken. Eine falsche Fährte, wie sich herausstellen wird.
Seit knapp einem Jahr zeigt das vierköpfige Social Media Team des Polizeipräsidiums Oberbayern Nord online Präsenz. Es war bayernweit eines der letzten Präsidien, die auf Facebook und Twitter ans Netz gingen. Den Ausschlag, die Internetaktivitäten der Polizei auf ganz Bayern auszuweiten, habe im Jahr 2016 der Amoklauf am Münchner Olympia Einkaufszentrum (OEZ) gegeben, erklärt Social Media Teamleiter Peter Grießer. Neun Menschen starben damals. Die Tragödie fiel in eine Zeit, in der auf Initiative des Innenministeriums bei der Münchner Polizei ein Social Media Pilotprojekt lief, das zeigen sollte, ob und wie die Polizei im Internet verstärkt aktiv werden könne.
Bereits kurz nach den ersten Meldungen vom OEZ setzte damals der polizeieigene Twitterstream ein, es wurde auf Englisch, Französisch und Türkisch von den Vorfällen berichtet. Ruhig, sachlich und souverän hielt das Team die Münchner Bevölkerung über die Ereignisse auf dem Laufenden und behielt auch angesichts von Falschmeldungen und Gerüchten im Internet einen kühlen Kopf. Das Ergebnis: Im Nachhinein erhielt der verantwortliche Polizei-Pressesprecher Marcus da Gloria Martins den Sonderpreis „Pressestelle des Jahres 2016“. Auf Twitter posteten User, er habe es geschafft, ein ganzes Land zu beruhigen.
Das ganze Land beruhigen will das Team aus Ingolstadt nicht, dennoch ist dessen Zuständigkeitsbereich alles andere als klein. Er umfasst zehn Landkreise, die von Ingolstadt über Eichstätt, Pfaffenhofen und Neuburg bis nach Lands- berg und Dachau reichen. Das Ziel der Internetpräsenz? „Über soziale Medien einen direkten Draht zu den Bürgern herstellen und Informationen aus erster Hand weitergeben“, erklärt Grießer.
Der Kampf gegen „Fake News“, Falschmeldungen, spiele ebenso eine Rolle. Etwa in dem eingangs erwähnten Fall des Mannes, der im Raum Pfaffenhofen angeblich Kinder in sein Auto locken will. „Ein Klassiker“, sagt Grießer. Entsprechende Meldungen verbreiteten sich in regelmäßigen Abständen in sozialen Netzwerken und gewännen eine Eigendynamik, die kaum mehr einzufangen sei. An dieser Stelle kommt die Polizei ins Spiel, sagt Andreas Aichele, ebenfalls Mitglied im Social Media Team: „Wir gehen der Sache nach, schauen, was dran ist, und lassen gegebenenfalls Dampf aus dem Topf.“Bei der Überprüfung des Mannes aus Pfaffenhofen habe sich herausgestellt, dass dieser tatsächlich einem Kind einen Teddy angeboten hatte – allerdings aus gänzlich harmlosen Motiven. Einen Kastenwagen habe er auch nicht gefahren. „Nun geht es darum, klarzustellen, dass an der Sache nichts dran ist.“Mediengestalterin Kathrin Schulz verpasst ihrem Bild den letzten Schliff, dann landet es zusammen mit einer Entwarnungsmeldung auf Facebook.
Gewarnt werden kann über die sozialen Netzwerke auch: bei Großbränden, Geiselnahmen oder Terroranschlägen. Es kann um Mithilfe gebeten werden: bei der Suche nach Verdächtigen, Vermissten oder Tätern. Nicht zuletzt sind soziale Medien auch eine Plattform des Selbstmarketings: wie im privaten Bereich eben auch. „Wenn du sympathisch sein willst, kannst du nicht immer nur mit dem erhobenen Zeigefinger daherkommen, sondern dann verpackst du deine Botschaften nett“, sagt Aichele offen. Im Gegensatz zu früher habe sich bei der Außendarstellung der Polizei einiges getan. Der Kreativabteilung würden viel mehr Freiheiten eingeräumt als früher. Bester Beweis ist die FacebookSeite des Präsidiums, auf der sich die Polizei mit Posts immer wieder als der sprichwörtliche „Freund und Helfer“inszeniert: am Weltkindertag mit einem drolligen Kind in Uniform, im Sommer mit einer geretteten Schildkröte auf dem Arm oder zur Wiesn-Zeit mit einem Lebkuchenherz, auf dem in charmantem Dialekt die Aufforderung steht: „Bsuffa Spatzl fahrst ma ned!“
Das Konzept scheint anzukommen. Inzwischen hat die FacebookSeite über 6000 Likes, dem Twitterkanal folgen knapp 2000 Nutzer. Allerdings funktioniert die Kommunikation im Netz in beiden Richtungen – auch die Polizei bleibt davon nicht verschont. Einen richtigen „Shitstorm“hätten die Beamten bislang noch nicht abbekommen. Kritik durchaus. Im September beispielsweise hatte ein Nutzer einen Polizeibeamten dabei fotografiert, wie dieser unerlaubterweise in Uniform am Straßenrand ein Wahlplakat aufstellte und hat das Foto auf der Seite der Polizei veröffentlicht.
Für den betreffenden Kollegen der Bundespolizei hatte das Foto ein Disziplinarverfahren zur Folge und warf zweierlei Fragen auf: Wie gehen Polizeibeamte generell mit Kritik um, und was ist im Netz erlaubt? „Wenn Kritik kommt, müssen wir uns dieser stellen, das haben wir in diesem Fall auch öffentlich getan“, sagt Aichele. Eingeschritten werde nur, wenn es sich beispielsweise um konkrete Beleidigungen oder den Aufruf zu Straftaten handele – ansonsten würden Diskussionen laufengelassen und auch Kritik an der eignen Arbeit bliebe auf der Seite stehen.
„Das Foto öffentlich zu posten, war allerdings auch ein Verstoß, da der Beamte identifizierbar gewesen ist“, betont Aichele. Bei polizeieigenen Veröffentlichungen würden er und sein Team streng auf Persönlichkeitsrechte achten. Wohl auch eine Lehre aus der Vergangenheit – in der Polizeiaccounts anderer Städte in die Kritik gerieten, weil dort beispielsweise Fotos von Demonstranten veröffentlicht wurden, die angeblich dem Persönlichkeitsschutz widersprachen.
Untergräbt es die eigene Autorität, wenn die Polizei in sozialen Netzwerken einerseits zu kumpelhaften Gesprächspartnern avanciert und sich andererseits öffentlich angreifbar oder zumindest kritisierbar macht? „Nein“, sagt Aichele. Allgemein wären die Rückmeldungen überwiegend positiv. Zwar würden manche fragen, „ob die Polizei nichts Besseres zu tun hat“, aber in der Regel hätten sich die Leute im Griff, wenn sie etwas auf den Seiten der Polizei posteten. Außerdem bliebe die sonstige Polizeiarbeit von den Auftritten in sozialen Netzwerken unberührt: „Da gelten die normalen rechtlichen Befugnisse – und die werden auch durchgesetzt.“
Die größte Herausforderung des Internets sieht Grießer vielmehr darin, „dass heute jeder Massenmedium sein kann“. In dieser Hinsicht sind soziale Netzwerke ein Ring, in dem der Kampf um Deutungsmacht tobt. In diesen Ring ist die Polizei gestiegen. „Wir wollen diejenigen sein, die neben den klassischen Medien wie Rundfunk, Fernsehen und Zeitung, als verlässliche Quelle Orientierung liefern.“Im Moment beschränkt sich die Polizei dabei auf die Arbeit mit Facebook und Twitter. Aber grundsätzlich sei sie offen: „Vielleicht wird man uns schon in fünf Jahren wo ganz anders finden.“Die Maus in Uniform hat jedenfalls noch längst nicht ausgedient.