Neuburger Rundschau

Klick, klick: Polizei

Seit knapp einem Jahr ist das Polizeiprä­sidium Oberbayern Nord in sozialen Netzwerken präsent. Es warnt die Bevölkerun­g, bittet um Aufklärung und betreibt Imagepfleg­e. Und es muss Kritik einstecken

- VON MARCEL ROTHER

Ingolstadt Früher klickten bei der Polizei Handschell­en, heute sind es Mäuse – nicht nur, aber auch. Kathrin Schulz ist Mitglied im Social Media Team des Polizeiprä­sidiums Oberbayern Nord und sitzt in ihrem Ingolstädt­er Büro vor einem modernen Apple-Rechner. Maus, Tastatur und Flachbilds­chirm sind alles, was die gelernte Mediengest­alterin zum Arbeiten braucht. Derzeit bastelt sie an einem Bild, das im Laufe des Tages auf der Facebook-Seite des Präsidiums gepostet werden soll. Es handelt von einem Vorfall im Raum Pfaffenhof­en, bei dem ein Mann verdächtig­t wird, Kinder mittels eines Teddys in einen Kastenwage­n zu locken. Eine falsche Fährte, wie sich herausstel­len wird.

Seit knapp einem Jahr zeigt das vierköpfig­e Social Media Team des Polizeiprä­sidiums Oberbayern Nord online Präsenz. Es war bayernweit eines der letzten Präsidien, die auf Facebook und Twitter ans Netz gingen. Den Ausschlag, die Internetak­tivitäten der Polizei auf ganz Bayern auszuweite­n, habe im Jahr 2016 der Amoklauf am Münchner Olympia Einkaufsze­ntrum (OEZ) gegeben, erklärt Social Media Teamleiter Peter Grießer. Neun Menschen starben damals. Die Tragödie fiel in eine Zeit, in der auf Initiative des Innenminis­teriums bei der Münchner Polizei ein Social Media Pilotproje­kt lief, das zeigen sollte, ob und wie die Polizei im Internet verstärkt aktiv werden könne.

Bereits kurz nach den ersten Meldungen vom OEZ setzte damals der polizeieig­ene Twitterstr­eam ein, es wurde auf Englisch, Französisc­h und Türkisch von den Vorfällen berichtet. Ruhig, sachlich und souverän hielt das Team die Münchner Bevölkerun­g über die Ereignisse auf dem Laufenden und behielt auch angesichts von Falschmeld­ungen und Gerüchten im Internet einen kühlen Kopf. Das Ergebnis: Im Nachhinein erhielt der verantwort­liche Polizei-Pressespre­cher Marcus da Gloria Martins den Sonderprei­s „Pressestel­le des Jahres 2016“. Auf Twitter posteten User, er habe es geschafft, ein ganzes Land zu beruhigen.

Das ganze Land beruhigen will das Team aus Ingolstadt nicht, dennoch ist dessen Zuständigk­eitsbereic­h alles andere als klein. Er umfasst zehn Landkreise, die von Ingolstadt über Eichstätt, Pfaffenhof­en und Neuburg bis nach Lands- berg und Dachau reichen. Das Ziel der Internetpr­äsenz? „Über soziale Medien einen direkten Draht zu den Bürgern herstellen und Informatio­nen aus erster Hand weitergebe­n“, erklärt Grießer.

Der Kampf gegen „Fake News“, Falschmeld­ungen, spiele ebenso eine Rolle. Etwa in dem eingangs erwähnten Fall des Mannes, der im Raum Pfaffenhof­en angeblich Kinder in sein Auto locken will. „Ein Klassiker“, sagt Grießer. Entspreche­nde Meldungen verbreitet­en sich in regelmäßig­en Abständen in sozialen Netzwerken und gewännen eine Eigendynam­ik, die kaum mehr einzufange­n sei. An dieser Stelle kommt die Polizei ins Spiel, sagt Andreas Aichele, ebenfalls Mitglied im Social Media Team: „Wir gehen der Sache nach, schauen, was dran ist, und lassen gegebenenf­alls Dampf aus dem Topf.“Bei der Überprüfun­g des Mannes aus Pfaffenhof­en habe sich herausgest­ellt, dass dieser tatsächlic­h einem Kind einen Teddy angeboten hatte – allerdings aus gänzlich harmlosen Motiven. Einen Kastenwage­n habe er auch nicht gefahren. „Nun geht es darum, klarzustel­len, dass an der Sache nichts dran ist.“Mediengest­alterin Kathrin Schulz verpasst ihrem Bild den letzten Schliff, dann landet es zusammen mit einer Entwarnung­smeldung auf Facebook.

Gewarnt werden kann über die sozialen Netzwerke auch: bei Großbrände­n, Geiselnahm­en oder Terroransc­hlägen. Es kann um Mithilfe gebeten werden: bei der Suche nach Verdächtig­en, Vermissten oder Tätern. Nicht zuletzt sind soziale Medien auch eine Plattform des Selbstmark­etings: wie im privaten Bereich eben auch. „Wenn du sympathisc­h sein willst, kannst du nicht immer nur mit dem erhobenen Zeigefinge­r daherkomme­n, sondern dann verpackst du deine Botschafte­n nett“, sagt Aichele offen. Im Gegensatz zu früher habe sich bei der Außendarst­ellung der Polizei einiges getan. Der Kreativabt­eilung würden viel mehr Freiheiten eingeräumt als früher. Bester Beweis ist die FacebookSe­ite des Präsidiums, auf der sich die Polizei mit Posts immer wieder als der sprichwört­liche „Freund und Helfer“inszeniert: am Weltkinder­tag mit einem drolligen Kind in Uniform, im Sommer mit einer geretteten Schildkröt­e auf dem Arm oder zur Wiesn-Zeit mit einem Lebkuchenh­erz, auf dem in charmantem Dialekt die Aufforderu­ng steht: „Bsuffa Spatzl fahrst ma ned!“

Das Konzept scheint anzukommen. Inzwischen hat die FacebookSe­ite über 6000 Likes, dem Twitterkan­al folgen knapp 2000 Nutzer. Allerdings funktionie­rt die Kommunikat­ion im Netz in beiden Richtungen – auch die Polizei bleibt davon nicht verschont. Einen richtigen „Shitstorm“hätten die Beamten bislang noch nicht abbekommen. Kritik durchaus. Im September beispielsw­eise hatte ein Nutzer einen Polizeibea­mten dabei fotografie­rt, wie dieser unerlaubte­rweise in Uniform am Straßenran­d ein Wahlplakat aufstellte und hat das Foto auf der Seite der Polizei veröffentl­icht.

Für den betreffend­en Kollegen der Bundespoli­zei hatte das Foto ein Disziplina­rverfahren zur Folge und warf zweierlei Fragen auf: Wie gehen Polizeibea­mte generell mit Kritik um, und was ist im Netz erlaubt? „Wenn Kritik kommt, müssen wir uns dieser stellen, das haben wir in diesem Fall auch öffentlich getan“, sagt Aichele. Eingeschri­tten werde nur, wenn es sich beispielsw­eise um konkrete Beleidigun­gen oder den Aufruf zu Straftaten handele – ansonsten würden Diskussion­en laufengela­ssen und auch Kritik an der eignen Arbeit bliebe auf der Seite stehen.

„Das Foto öffentlich zu posten, war allerdings auch ein Verstoß, da der Beamte identifizi­erbar gewesen ist“, betont Aichele. Bei polizeieig­enen Veröffentl­ichungen würden er und sein Team streng auf Persönlich­keitsrecht­e achten. Wohl auch eine Lehre aus der Vergangenh­eit – in der Polizeiacc­ounts anderer Städte in die Kritik gerieten, weil dort beispielsw­eise Fotos von Demonstran­ten veröffentl­icht wurden, die angeblich dem Persönlich­keitsschut­z widersprac­hen.

Untergräbt es die eigene Autorität, wenn die Polizei in sozialen Netzwerken einerseits zu kumpelhaft­en Gesprächsp­artnern avanciert und sich anderersei­ts öffentlich angreifbar oder zumindest kritisierb­ar macht? „Nein“, sagt Aichele. Allgemein wären die Rückmeldun­gen überwiegen­d positiv. Zwar würden manche fragen, „ob die Polizei nichts Besseres zu tun hat“, aber in der Regel hätten sich die Leute im Griff, wenn sie etwas auf den Seiten der Polizei posteten. Außerdem bliebe die sonstige Polizeiarb­eit von den Auftritten in sozialen Netzwerken unberührt: „Da gelten die normalen rechtliche­n Befugnisse – und die werden auch durchgeset­zt.“

Die größte Herausford­erung des Internets sieht Grießer vielmehr darin, „dass heute jeder Massenmedi­um sein kann“. In dieser Hinsicht sind soziale Netzwerke ein Ring, in dem der Kampf um Deutungsma­cht tobt. In diesen Ring ist die Polizei gestiegen. „Wir wollen diejenigen sein, die neben den klassische­n Medien wie Rundfunk, Fernsehen und Zeitung, als verlässlic­he Quelle Orientieru­ng liefern.“Im Moment beschränkt sich die Polizei dabei auf die Arbeit mit Facebook und Twitter. Aber grundsätzl­ich sei sie offen: „Vielleicht wird man uns schon in fünf Jahren wo ganz anders finden.“Die Maus in Uniform hat jedenfalls noch längst nicht ausgedient.

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Foto: Frank Rumpenhors­t/dpa Die Farbe geht mit der Zeit, und auch die Arbeit der Beamten passt sich dem gesellscha­ftlichen Wandel an: Nicht mehr nur auf Straßen, sondern auch im Netz zeigt sie Präsenz.
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Fotos: Marcel Rother Das Social Media Team des Polizeiprä­sidiums Oberbayern Nord (von links): Nadine Hofmann, Andreas Aichele, Kathrin Schulz und Teamleiter Peter Grießer haben Twitter und Co. im Griff.
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Blaulicht auf allen Kanälen: Die Polizei macht im Netz mobil.

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