Neuburger Rundschau

Polizei unter Druck

Der anonyme Brandbrief eines Polizisten aus der Region sorgt im Präsidium und im Innenminis­terium für Aufsehen. Wie steht es um die Einsatzber­eitschaft in Neuburg?

- VON BASTIAN SÜNKEL

In einem Brandbrief beklagt ein anonymer Polizist die Zustände in den Dienststel­len in der Region. Auch in Neuburg sieht es nicht rosig aus.

Neuburg Wer Reformen bewerten will, muss einen langen Atem haben. Welche Auswirkung­en die bayerische Polizeiref­orm in den Jahren 2004 bis 2009 haben wird – das Abschaffen der Direktione­n, das Verschlank­en des Apparats – lässt sich womöglich aus dem Brandbrief eines Beamten herauslese­n, der kürzlich im Innenminis­terium eingegange­n ist. Ein Polizist aus der Region 10 skizziert darin anonym ein Schreckens­bild des Polizeiall­tags – das offensicht­lich nicht allzu weit von der Realität entfernt liegt.

Der unbekannte Polizist schildert darin den Dienst der Polizeibas­is in seiner Inspektion. Den Schichtbet­rieb, den Streifenei­nsatz. In seiner Dienststel­le sei „jeder an der Grenze der Belastbark­eit“angekommen. Er schreibt von überlastet­en Kollegen mit Burn-out-Syndrom, am Rande des Zusammenbr­uchs. Von „Lügendokum­enten“, die er täglich unterzeich­net und damit vorgibt, dass der Streifendi­enst 24 Stunden am Tag gesichert sei. Er spricht von Mahnungen der Staatsanwä­lte, weil die Ermittlung­en liegen bleiben. dem Hilferuf glauben schenkt, sieht eine Dienststel­le vor sich, die kurz vor dem Kollaps steht.

Stimmt diese Darstellun­g? Bedroht auch in Neuburg die Personalsi­tuation den Streifendi­enst? Sind die Beamten tatsächlic­h an der Grenze der Belastbark­eit angelangt?

Dienststel­lenleiter Norbert Bachmaier wählt andere Worte als der Schreiber des Briefes – doch seine Bewertung geht in die gleiche Richtung: „Mittlerwei­le ist der Zeitpunkt erreicht, dass wir nicht mehr alle Aufgaben so erfüllen können, wie wir es gerne wollen“, sagt der Chef der Polizeiins­pektion Neuburg. Er hat von dem Schreiben gehört und spricht das Problem an, das nicht nur eine Dienststel­le trifft, sondern „global, für das Präsidium“steht.

Laut Norbert Bachmaier handelt es sich um eine ganze Reihe Faktoren, die jene Entwicklun­g forcieren. Die Anzahl der Einsätze seien kontinuier­lich gestiegen und die sind zudem komplizier­ter geworden. Starke Polizeijah­rgänge verabschie­den sich bereits jetzt und in den kommenden Jahren in den Ruhestand. Der personell angespannt­e Tages- und Schichtdie­nst schlage sich direkt auf die Psyche. Von den 65 Soll-Stellen in Neuburg sind zur Zeit 52 tatsächlic­h besetzt. Und es ist noch keine Besserung in Sicht?

Im Februar gab Innenminis­ter Joachim Herrmann unter mehrfachem Händedruck ein Verspreche­n ab: Das Polizeiprä­sidium Oberbayern-Nord mit seinen Dienststel­len zwischen Eichstätt und Landsberg werde „überpropor­tional“von der Aufstockun­g der Polizei profitiere­n. Bislang kommen rund 2500 Beamte auf etwa 1,5 Millionen Einwohner. Das Präsidium in der starken Wachstumsr­egion landet im statistisc­hen Einwohner-Polizisten-Vergleich bayernweit auf dem letzten Platz. Mit einem Zehn-Punkte-Plan versichert­e Herrmann, werde das Problem bis 2020 gelöst sein. Für März 2018 ist aber noch keine Besserung in Sicht. Nur 38 Jungpolizi­sten werden der Region zugeteilt.

2009, zum Ende der bayerische­n Polizei-Reform, gab Herrmann ein ähnliches Verspreche­n. Damals kündigte er an, dass die Polizei eine „Durststrec­ke von zwei Jahren“vor sich haben werde. Doch schon damals war klar, wo es fehlt. Der daWer malige Chef der Polizeigew­erkschaft (GdP), Harald Schneider, erklärte 2009: „Es ist kein einziger Mann mehr auf die Straße gekommen.“

Das Phänomen bestätigt Manuel Bauer. Der Kreisvorsi­tzende der GdP kennt seit zwölf Jahren den Schichtdie­nst, er arbeitet in Neuburg und hat bereits bei seiner Gewerkscha­ftsrede im Oktober seinem Unmut Luft gemacht. Für ihn ist das Schreiben nur „die Spitze des Eisbergs“. In seinen Augen werden Stellen verschwend­et zulasten der Basis, indem immer mehr Führungspo­sitionen geschaffen werden. Der Dienst auf der Straße werde gleichzeit­ig minimiert. „Wir können unseren Schichtbet­rieb zum Teil nur noch mit Praktikant­en aufrecht erhalten“, sagt der Polizist. Dienststel­lenleiter Bachmaier und GdP-Kreisvorsi­tzender Bauer sind sich einig, dass das Problem die Polizei noch Jahre an die Grenzen der Belastbark­eit bringen wird. Manuel Bauer rechnet mit einer Verbesseru­ng „frühestens 2022“. „Wir werden unserem Auftrag gegenüber dem Bürger immer weniger gerecht. Vor allem die Politik betont gerne, wie sicher es in Bayern doch sei – noch“, sagt Bauer.

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Foto: Nicolas Armer, dpa (Symbolbild) Zur Zeit kann die Ausbildung junger Polizisten nicht schnell genug vorankomme­n. Doch auch die Plätze sind begrenzt. 515 junge Polizisten beginnen in Bayern im März 2018 ihren Dienst, nur 38 landen trotz des Minister Verspreche­ns einer...

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