Und Friede auf Erden?
Aus gegebenem Anlass: Was sich aus dem zurückliegenden Jahrhundert der Weltkriege lernen lässt
Die Warnung ist deutlich: „Ein Vierteljahrhundert nach dem Zusammenbruch der alten Weltordnung wird auch der Krieg als Mittel der Konfliktlösung wieder denkbar. Sogar die Legitimation des Angriffs als Auftakt eines vorgeblich gerechten Krieges erfährt eine neue Konjunktur. Selbst in Europa.“Schlimmes Szenario. Aber ist das nicht übertrieben? Beim Erlanger Geschichtsprofessor Gregor Schöllgen erscheint es als folgerichtig. Denn er blickt aus der Erfahrung der vergangenen hundert Jahre auf unsere Gegenwart. Und diese Prinzipien seien eben geblieben: Verunsicherung führt zu Bedrohungsgefühl, erhöhtes Sicherheitsbedürfnis zu Einkapselung und Hochrüstung – und jede Gefahr ist potenziell existenzgefährdend. Also keine Schwäche, bis der Gegner nicht komplett kapituliert…
Aber Moment erst mal. Denn natürlich: Es herrscht leider längst nicht der Weltfrieden, der im Herzen aller Weihnachtswünsche steht. Doch auch wenn derzeit etwa immer wieder Trump mit Nordkorea rangelt, in der Ost-Ukraine gekämpft wird, in Syrien die Hölle Alltag ist, hin und wieder Nachrichten von Schlachten aus Afrika zu uns dringen… – gibt es nicht trotzdem Gründe zu hoffen, dass der Mensch aus den Katastrophen des 20. Jahrhunderts gelernt hat? Dass es also doch einen Fortschritt zur Vernunft gibt, wie ihn die Aufklärer einst erhofft hatten, der aber spätestens durch die Bestialitäten des Zweiten Weltkrieges widerlegt schien? Denn wurde trotz aller Konfrontationen nicht zum Beispiel ein Dritter Weltkrieg immer verhindert?
Eben nicht. Er hat, so schreibt Gregor Schöllgen in seinem Buch „Krieg“, stattgefunden. Zwar blieb es im Norden der Welt beim Kalten Krieg, und aus den Gründen dafür ließe sich durchaus für die Zukunft lernen. Aber: „Im Grunde legte der Norden während des Kalten Krieges seine koloniale beziehungsweise imperiale Mentalität nie wirklich ab. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg behandelte man die jetzt sogenannte Dritte Welt als Rohstoff- und Arbeitskräftelieferanten, als Deponie für Vieles, das man im Norden nicht entsorgen konnte oder wollte, als Testgelände neuer Waffen, Kampfstoffe oder Gifte und nicht zuletzt als Schlachtfeld, auf das sich anstehende Konflikte verlagern und auf denen sie sich austragen ließen.“Algerien, Vietnam, Afghanistan…
Und: „Die Konfliktpotenziale, die bis 1945 vor allem durch die Kolonialmächte auf der südlichen Halbkugel angelegt worden sind und nach 1945 als ‚Dritte Welt‘ ein Eigenleben entwickelt haben, sind ja 1991 mit dem Ende des Kalten Krieges nicht verschwunden. Im Gegenteil. Sie gehen jetzt eine Verbindung mit jenen Konflikten des Nordens ein, die 1945 eingefroren wurden und seit 1991 wieder aufgebrochen sind.“Darum ist es so erhellend, wenn der Historiker nun all die Verstrickungen in seinem Buch aufzeigt. „Es ist das Porträt einer Welt, die seit 100 Jahren am Abgrund steht“, schreibt Schöllgen.
Er setzt 1917 an, weil mit der Revolution der russischen Bolschewiki eine universelle Kampfansage in die Welt kam. Und er endet – nachdem er pointiert in die komplexen Lagen von Versailles bis zum IS geführt hat – unmittelbar im Heute. Und nein, da hat sich eben das Wenigste endgültig geklärt, die Lage ist nur noch komplexer geworden – und damit noch bedrohlicher. Zu den aus dem globalen Süden zu uns zurückkehrenden Konflikten und den gesellschaftsinternen Problemen durch die Verschiebung der Schichten kommen weitere. Etwa weil der Norden, so Schöllgen, „fixiert auf seine äußere und innere Sicherheit und berauscht vom solchermaßen garantierten Wohlstand, drohende nichtmilitärische Gefahren weitgehend ausblendete, allen voran die Belastung und Bedrohung der Umwelt.“
Trotz alledem gibt es für den Historiker Grund zur Hoffnung. Denn eben aus dem Inneren des Kalten Krieges sei die erfolgreiche Moderation von Konflikten zu lernen. Noch besser als damals in Konfrontation aber wäre es wohl, eine heute notwendige zeitgemäße Sicherheitsarchitektur, die nicht die Eskalation schon vorwegnimmt, in Kooperation zu schaffen. Eines gilt für den Historiker dabei als sicher: „Je überschaubarer die zu kontrollierende Landschaft ist, umso besser lässt sie sich sichern. So gesehen ist die Renaissance des Nationalstaats keine Überraschung. Wie weit sie trägt, wird man sehen. Sich gegen sie zu stemmen, ist sinnlos.“
Mag diese Basis für den Frieden auch nicht gerade nach Vernunft klingen: „Nicht zufällig geht die Wiederbelebung der nationalen Idee mit einem Gefühl einer Gefährdung der nationalen Identität einher, das in Furcht vor einer außer Kontrolle geratenden Überfremdung gründet.“Aber Schöllgen schreibt eben nicht ideologisch, sondern im besten Sinne aufklärerisch. Er sucht darum ehrlich vor der Geschichte und auf dem Boden der Wirklichkeit den Weg in eine friedvollere Zukunft.
» Gregor Schöllgen: Krieg – Hundert Jahre Weltgeschichte. DVA, 368 S., 24 ¤