Jetzt ist er nur noch Gast
Wer im Neuburger Krankenhaus war, kam an Karl Bairlein nicht vorbei. Über 25 Jahre lang führte er den Kiosk mit Café – und hatte immer ein offenes Ohr für seine Gäste. Jetzt will er selbst zur Ruhe kommen
26 Jahre lang führte er den Kiosk im Neuburger Krankenhaus, nun ist Karl Bairlein im Ruhestand. Was er in der Zeit erlebt hat, hat er der
NR erzählt.
Neuburg Karl Bairlein sitzt vor dem Kiosk im Krankenhaus, auf dem Tisch eine Tasse Kaffee, neben sich seine Frau Sigrid. Das Kiosk-Telefon klingelt im Hintergrund, Bairlein zuckt und fängt im nächsten Moment an zu lachen. „Ich wollt schon sagen: Geh mal ans Telefon“, sagt er zu seiner Frau. Über 25 Jahre lang hat er den Kiosk geleitet, stand täglich hinter dem Tresen. Ein Vollzeitjob. Seine Frau und auch sein Sohn arbeiteten mit – das Herz des Ladens, das war aber der Pächter selbst.
Seit diesem Jahr ist Schluss damit. Bairlein genießt den Kaffee als Gast, die Geschäfte hat er an seinen Nachfolger Norbert Maier abgegeben.
Kaum hat er Platz genommen, da bleiben schon die ersten auf einen kurzen Plausch stehen. Ausnahmslos jeder, der vorbeiläuft, grüßt herzlich, die meisten kommen kurz an den Tisch. Ob Chefarzt oder Reinigungskraft, Krankenschwester oder Patient – wer in den vergangenen 26 Jahren im Krankenhaus einund ausging, der kam an Bairlein nicht vorbei. „Wir haben hier Freunde fürs Leben gefunden“, sagt er. Die Mutter eines Kindes zum Beispiel, das vor vielen Jahren an Krebs starb. Über Monate hinweg kam sie fast täglich für eine kleine Auszeit vom Alltag zwischen Visiten und Therapien vorbei. Wie die meisten von Bairleins Kunden brauchte sie nicht nur den Kaffee, sondern auch einen Gesprächspartner. Irgendwann, erzählte Sigrid Bairlein, war das Verhältnis so freundschaftlich, dass die Frau auch spontan hinter dem Tresen mitangepackt hat, wenn plötzlich viele Kunden auf einmal kamen.
Viele tragische Schicksale hat der Kioskbetreiber hautnah miterlebt. Sie haben Dauerpatienten regelmäßig mit Zeitungen und Kaffee versorgt oder Menschen, die Minuten vorher einen Angehörigen verloren hatten, getröstet. Er hat aber auch Genesungen, Geburten und sogar eine Hochzeit miterlebt. „Wir standen dahinten“, erzählt Bairlein und zeigt in den Verkaufsraum. Ein 80-jähriger Patient und seine Lebensgefährtin hatten sich während dem Kaffeetrinken über das Heiraten unterhalten. „Aber doch nicht im Krankenhaus“, habe die Frau gesagt. „Das ist doch kein Problem, wir haben einen Pfarrer vor Ort und einen Standesbeamten werden wir auch hierher zitieren können“, hat Bairlein sich damals in das Gespräch eingeklinkt. „Und wenn ihr einen Trauzeugen braucht, mach ich dir den Trauzeugen. Eine Hochzeitstorte kann ich auch besorgen.“So kam es dann auch: Die Kinder aus erster Ehe wurden eingeladen und die Hochzeit im Krankenhaus-Café gefeiert. Auch Sigrid Bairlein denkt gerne an den ungewöhnlichen Tag zurück, das frisch getraute Ehepaar habe sich schick gemacht und sei furchtbar aufgeregt gewesen.
Die guten Zeiten, da sind sich Bairlein und seine Frau einig, hätten in all den Jahren im KrankenhausKiosk überwogen.
Dabei gab es ganz am Anfang Ärger mit der Klinikleitung: „Weil die Oberin nicht wusste, was das Victory-Zeichen ist“, sagt Bairlein und muss schmunzeln. Damals, in den Neunzigern, hatte er eine Kette mit einem „V“-Anhänger im Sortiment. „Sie hat gemeint, dass es eine Teufelskralle ist. Dann habe ich von der Geschäftsleitung eine Abmahnung gekriegt.“Und ein zweites Mal gab es Ärger, als er scheinbar wieder gegen die katholischen Richtlinien des Krankenhauses verstieß: „Der
hatte in einem Artikel das Kruzifix verunglimpft“, erinnert Bairlein sich. „Irgendein Pfleger hat das gelesen und der Oberin gesagt, ‚diese Zeitungen verkauft der‘.“Damals habe er eben nichts im Sortiment
„Wir haben hier Freunde fürs Leben gefunden.“
Es gab Ärger, weil Bairlein den „Spiegel“verkaufte.
haben dürfen, was irgendwie anrüchig war.
Der Abschied Ende Dezember war schwer. 26 Jahre lang stand Bairlein täglich hinter dem Tresen, „mehr als zwei bis drei Tage Urlaub am Stück waren nicht drin“, sagt seine Frau. Der vergangene Sonntag sei der erste in 20 Jahren gewesen, den die beiden tatsächlich frei hatten. „Es sieht keiner da rein“, sagt er über den Abschiedsschmerz und klopft sich mit der Hand auf sein Herz. „Aber die Leute fehlen mir schon.“
Doch die große Leere wird sich bei ihm wahrscheinlich nicht einstellen: In seiner Garage stehen Autos und Motorräder, die er jetzt in Schwung bringen möchte, im großen Garten ist immer etwas zu tun, ein paar Reisen möchte das Ehepaar unternehmen und ein kleiner Enkel will auch die Aufmerksamkeit seiner Großeltern. Zuerst steht aber in zehn Tagen sein 70. an – der wird groß gefeiert. Der Geburtstag ist an einem Sonntag. Am nächsten Morgen wird Bairlein wahrscheinlich ausschlafen. Wer das Café um neun aufsperrt, darum muss er sich keine Sorgen mehr machen. Eine ganz neue Erfahrung.