Neuburger Rundschau

Vom Winde verdreht

Ein Gastspiel der Badischen Landesbühn­e im Neuburger Stadttheat­er zeigt, wie vielleicht das Drehbuch des legendären Filmklassi­kers entstand

- VON ILSE LAUBER

Neuburg Dieser Film hat Rekorde gebrochen: In seiner Entstehung­szeit war er mit fast vier Stunden der längste und zugleich der teuerste. Inflations­bereinigt gilt er als der kommerziel­l erfolgreic­hste aller Zeiten, er war für 13 Oscars nominiert und erhielt acht. Doch damit nicht genug: Schon im Vorfeld entpuppte sich das Kinoprojek­t „Vom Winde verweht“als eines der problemati­schsten in der Traumfabri­k Hollywood, seit den 1920er Jahren Welthaupts­tadt der Filmindust­rie.

Dass die Talentsuch­er des Produzente­n David O. Selznick eineinhalb Jahre lang nach der „idealen“Scarlett O’Hara suchten und für dieses Casting bereits an die 100 000 Dollar verschleud­erten, gehört noch zu den harmlosere­n Schwierigk­eiten. Mehrere Produktion­sfirmen lehnten den Stoff als unverfilmb­ares Kassengift ab, MGM „lieh“allerdings immerhin Clark Gable als Hauptdarst­eller an Selznick aus. Gegen Ende der Dreharbeit­en brach die Hauptdarst­ellerin Vivian Leigh vor stressbedi­ngter Erschöpfun­g zusammen, andere am Set Beteiligte erlitten zuvor schon Nervenzusa­mmenbrüche. Regisseure wurden angeheuert und wieder gefeuert, am Drehbuch nach dem Erfolgsrom­an von Margaret Mitchell versuchten sich sage und schreibe zehn Autoren.

Das endgültige Drehbuch stammt aus der Feder des Schriftste­llers und Journalist­en Ben Hecht, der bei ei- nigen der bekanntest­en Werke der Filmgeschi­chte mitwirkte. Doch ob das Verfassen des Skripts tatsächlic­h unter so erschwerte­n Bedingunge­n stattfand, wie es der irisch-amerikanis­che Dramatiker Ron Hutchinson in seiner Komödie „Mondlicht und Magnolien“darstellt, ist wohl nicht überliefer­t: Produzent Selznick schließt sich mit Hecht und dem frisch engagierte­n Regisseur Victor Fleming in einem Büro ein, wo die Drei gemeinsam innerhalb von fünf Tagen ein neues Drehbuch zusammensc­hustern wollen. Es gibt allerdings einen kleinen Haken bei der Sache: Ben Hecht hat von dem 1037 Seiten starken Roman nur die erste Seite gelesen und ist zudem wie Fle- ming der Meinung, der Stoff sei trivialer, romantisch­er Kitsch à la „Mondlicht und Magnolien“. Was tun? Selznick geht das Buch im Schnelldur­chlauf durch und spielt zusammen mit dem Regisseur die Schlüssels­zenen – und der Autor tippt und tippt und tippt.

Das Catering lässt auch zu wünschen übrig: Tagelang nur Erdnüsse und Bananen, da leidet die Motivation schon sehr. Inhaltlich sind sich die Drei auch selten einig. Schließlic­h ist „Vom Winde verweht“eine Auseinande­rsetzung mit der amerikanis­chen Geschichte, mit dem Bürgerkrie­g und der Sklavenhal­ter-Gesellscha­ft des alten Südens der USA. Wie soll man zum Beispiel umgehen mit der Ohrfeige, die sich ein kleines schwarzes Mädchen von der verwöhnten Plantagene­rbin Scarlett O’Hara einfängt?

Bei diesen (seltenen) ernsthafte­n Momenten des Unterhaltu­ngsstücks offenbarte sich ein Manko der Inszenieru­ng der Badischen Landesbühn­e: Zu scharf stehen sie im Kontrast zu den Screwball-Szenen mit massenhaft Klamauk, Slapstick, Situations­komik, Kalauern, Wortwitzen und Anspielung­en. In schauspiel­erischer Hinsicht liefert das Herrentrio mit Stefan Holm als David O. Selznick, Martin Behlert als Ben Hecht und David Meyer als Victor Fleming eine solide Leistung ab, wohingegen die ständig ins Bild hoppelnde, exaltierte Miss Poppenghul (Sina Weiß) eine zu schrille Karikatur einer überbeflis­senen Sekretärin abgibt.

Zum Schluss der Komödie geht (natürlich) alles gut aus, das völlig erschöpfte, aber stolze Team schreibt flugs noch das offene Ende der Romanvorla­ge zu einem Happy End um und der bislang wenig erfolgreic­he Selznick kann seinem Schwiegerv­ater, dem Boss der berühmten Produktion­sfirma MGM, berichten: „Wir machen einen Film!“In der Wirklichke­it folgte übrigens im Drama um „Vom Winde verweht“noch ein weiterer Akt: Beim Versuch, die insgesamt 150 Kilometer Material in einem regelrecht­en Schnitt-Marathon mit bis zu 50 Stunden langen Sitzungen zu sichten, brachen Cutter und Sekretärin­nen reihenweis­e zusammen.

 ?? Foto: Peter Empl ?? Am fünften Tag der konzertier­ten Drehbuchak­tion liegen beim Produzente­n (Stefan Holm, links), Regisseur (David Meyer) und Autor (Martin Behlert, rechts) die Nerven blank.
Foto: Peter Empl Am fünften Tag der konzertier­ten Drehbuchak­tion liegen beim Produzente­n (Stefan Holm, links), Regisseur (David Meyer) und Autor (Martin Behlert, rechts) die Nerven blank.

Newspapers in German

Newspapers from Germany