Hai, ich schau dir in die Augen
Auf der Karibikinsel Caye Caulker geht es tiefenentspannt zu – unter Wasser herrscht dagegen reges Treiben. Was es mit der Jagd und dem Schutz von „grünen Hühnchen“im Westen des Landes auf sich hat
ie Sonne strahlt bei über 30 Grad, nur unwesentlich kühler ist das glitzernde, blautürkise Wasser der Karibik. Ein perfekter Tag zum Schnorcheln; Flossen und Maske sind angelegt – aber meine Beine wollen sich nicht bewegen. „Spring ins Wasser“, ruft mir unser Bootsführer Shawn zu. „Dir passiert nichts.“Ich würde ihm gerne glauben, aber die Zweifel sind zu groß. „In dieses Haifischbecken springen?“Ich sehe weit mehr als ein Dutzend der Raubfische, die immer wieder nur wenige Zentimeter an und unter unserem kleinen Motorboot vorbeischwimmen.
Es sind Ammenhaie, die vor der Küste Caye Caulkers, einer kleinen Insel, die zu Belize in Mittelamerika gehört, schwimmen. Die Exemplare hier sind etwa zwei Meter lang. Für den Menschen sollen die Tiere nur gefährlich sein, wenn sie provoziert werden; das zumindest behauptet Shawn. Wie so eine Provokation aussieht, das verrät er mir und den anderen acht Touristen nicht. Stattdessen lächelt er hinter seiner schwarzen Sonnenbrille zufrieden und macht eine Handbewegung Richtung Wasser. Während ich noch zögernd am Bootsrand stehe, springt ein junger Amerikaner ins Wasser. Ich beobachte ihn, beobachte die Haie. Und es passiert – nichts. Die braun-grauen Tiere gleiten an dem Mann vorbei; sie interessieren sich nur für die Fischköder, die Shawn vom Boot aus ins Wasser wirft.
Die Haie sind abgelenkt: jetzt oder nie. Und platsch, bin ich im Wasser. Ich schaue nach links, nach rechts, nach vorne, drehe mich im Kreis – die Haie sind überall. Mit meiner Schnorchelausrüstung, die ihre besten Tage schon lange hinter sich hat, blicke ich einem Ammenhai direkt in die Augen. Mein Blick
schweift schnell über seinen braungrauen Körper, die beiden Rückenflossen, die mächtige Schwanzflosse und wieder zurück zum Maul, in dem gerade einer der Fischköder verschwindet. Die anderen Ammenhaie gleiten dicht über das Seegras, folgen dem Motorengeräusch unseres Bootes. Wegen der vielen Ausflugsboote sind sie so konditioniert, dass sie zu den Booten schwimmen, sobald sie die Motoren hören. Denn die Tiere wissen: Jetzt ist Fütterungszeit am Hausriff von Caye Caulker.
Doch nicht nur die Haie jagen zum Mittagessen aus allen Richtungen in Richtung Boot. Unzählige Stechrochen gleiten an uns vorbei oder schwimmen zwischen unseren Beinen hindurch. Mit ihrem stark abgeplatteten Körper und den großen Brustflossen, die mit dem Kopf verwachsen sind, erinnern sie mich an Batman. Doch im Gegensatz zu der Comicfigur können die Rochen für den Menschen extrem gefährlich sein. Der Extrem-Tierfilmer Steve Irvine starb vor einigen Jahren durch einen Stich von einem Stechrochen ins Herz.
30 Euro kostet eine Halbtagestour am Belize Barrier Reef, dem zweitgrößten Riff der Welt. Für den ganzen Tag wird der doppelte Preis fäl-
lig. Dafür sieht man aber auch Meeresschildkröten, Seekühe und – mit etwas Glück – grüne Moränen. Eine private Aufzuchtstation für Seepferdchen ist bei der kleineren Tour auch inklusive.
Auf dem Weg dorthin verteilt Shawn seinen schier endlosen Vorrat an Fischköder an uns. „So haltet ihr den Fisch“– er klemmt die Schwanzflosse zwischen seinen Zeigeund Mittelfinger ein. Dann sollen wir den Köder etwa 30 Zentimeter über das Wasser halten und uns überraschen lassen, was passiert. Und wieder blicke ich in sein grinsendes Gesicht. Da ich sowieso nicht um diese Überraschung herumkomme, strecke ich meine Hand samt Köder über das Wasser und warte. Nach wenigen Sekunden sehe ich einen knapp ein Meter großen Fisch, dann zwei, es werden immer mehr. Tarpune sind das – ich habe von ihnen noch nie gehört. Aber sie sind mir gleich deutlich näher, als mir lieb ist. In Sekundenbruchteilen katapultiert sich einer der dicken Brocken scheinbar mühelos aus dem Wasser, schnappt sich den zwischen meinen Fingern eingeklemmten Köder und klatscht zurück ins Wasser. Ein kurzer Schock, ein kurzer Blick, ob noch alle Finger dran sind, dann – lautes Lachen. Bei mir, bei den anderen und auch bei Shawn.
Danach geht es zurück an den Steg von Caye Caulker. Die Insel ist ein Karibiktraum für meist jüngere Rucksacktouristen. Woran das liegt, ist leicht zu beantworten: an den Schnorcheltouren, aber auch an Slogans wie „Go slow“, „You better Belize it“oder „No shoes, no shirts, no problem“, die in bunten Buchstaben an den kleinen Häuserwänden prangen. Barfuß, ohne Shirt und mit entspanntem Schritt geht es hier vorwärts. Auf der Insel gibt es keine asphaltierten Straßen oder Autos, nur sandige Wege und Golfcarts. Selbst Polizisten sind in diesen kleinen Wagen unterwegs, grinsen fröhlich und grüßen jeden, an dem sie vorbeifahren. Verirren kann man sich auf der Insel nicht, denn die kleinen, parallel verlaufenden Sandstraßen sind einfach angelegt: Es
gibt nur die Front, Middle und Back Street. Die karibische Insel wurde 1961 bei einem Hurrikan geteilt – den dazwischen liegenden Graben nennen die Einwohner „The Split“.
Der Norden der Insel blieb durch die Teilung bisher weitgehend unerschlossen, doch südlich des Splits befindet sich das Dorf und somit auch der Dreh- und Angelpunkt für alle Touristen. Dort wird am Straßenrand gegrillt, am Split gebadet und mit einem Happy Hour Drink auf den Sonnenuntergang gewartet. Es gibt Ananas und Sonnenbrillen zu kaufen. Und doch fehlt etwas an diesem Ort: der klischeehafte weiße karibische Sandstrand. Die meisten Touristen finden das auch gut so. Sie kommen nach Caye Caulker um zu schnorcheln, abzuhängen und sich von den Maya-Touren in Mexiko zu erholen – „Go slow“eben.
Langsam, aber unterhaltsam vergeht auch die Reise quer durch das Land. Nach der Bootsfahrt zurück nach Belize City und dem Fußmarsch durch die wuseligen und verslumten Straßen der ehemaligen
Hauptstadt komme ich am Busbahnhof an. Ich fühle mich an einen Gefangenentransport erinnert: Polizei vor dem Gebäude, im Inneren trennen rostige Zäune und meterhohe Gitter den Wartebereich von den Bussen. Irgendwann öffnet sich eines der Tore – Fahrpläne sind relativ – und Massen von Menschen erkämpfen sich einen Sitzplatz im Bus. Vier Personen auf zwei schmalen Sitzen – kein Problem. So eingezwängt komme ich ins Gespräch mit den Einheimischen.
Die ausgemusterten, bunt bemalten amerikanischen Schulbusse heißen in Belize übrigens Chicken Bus. Warum, das wird nach einer Stunde Fahrt deutlich. Ein Mann setzt sich mit einem kleinen Karton neben mich – eine weitere Person im überfüllten Bus macht jetzt auch keinen Unterschied mehr – lächelt, und fragt nach einem Messer. Kurze Irritation auf meiner Seite, schnelles Handeln bei der Frau auf der anderen Seite. Wie selbstverständlich zieht sie ein Klappmesser aus ihrer Handtasche, überreicht es dem Mann, der sogleich Löcher in den Karton schneidet. „Die Hühner brauchen Luft“, sagt er zu mir. Nicht nur die, denke ich – und warte auf die Ankunft in San Ignacio.
Fünf Stunden später ist es so weit. Kaum ein Tourist macht einen Stopp in der zweitgrößten Stadt des Landes – 17 000 Menschen leben hier im Westen, Sehenswürdigkeiten gibt es in der Stadt kurz vor der Grenze zu Guatemala kaum. Wenige Kilometer entfernt ist die alte Maya-Stätte Xunantunich, die man nur über eine mit der Hand betriebene Fähre über einen Fluss erreicht. Am Eingang werden Besucher von Brüllaffen, die in den Baumwipfeln sitzen, beobachtet – und mitunter angebrüllt. Deutlich ruhiger geht es in San Ignacio zu.
Dort ist ein Projekt beheimatet, das sich seit 21 Jahren der Rettung der grünen Leguane verschrieben hat. Es gibt kein Hinweisschild, das Touristen den Weg weist. Den Tipp für die Station hat mir eine Einheimische im Bus gegeben; im San Ignacio Resort Hotel zahle ich den Eintritt für die nächste Führung des Iguana Projekts. Es geht am Pool und den Tennisplätzen vorbei in den Hinterhof des Hotels. Wir stehen vor einem riesigen Käfig, dort drin sind die „kleinen Dinosaurier“, wie Austin sie nennt. Die bis zu zwei Meter großen Reptilien sind in Belize auch als „grüne Hühnchen“bekannt. Einheimische sagen, dass ihr Fleisch wie das Geflügel schmecke. Vor allem schwangere Weibchen sind bedroht, ihre Eier werden als Delikatesse angesehen.
Um den Fortbestand der Reptilien zu sichern, versorgt das Projekt die Tiere und zieht Jungtiere auf, die danach in geschütztem Raum ausgesetzt werden. Holzbretter führen mitten durch den Käfig, auf ihnen kriechen einige Leguane. Links
und rechts des Weges sind ebenfalls Leguane – je genauer ich hinschaue, desto mehr entdecke ich. Neugierig und hungrig laufen sie auf uns zu – denn es gibt Mittagessen. Riesige Blätter und kleine Feigen sind meine Mitbringsel für die Vegetarier.
Wir dürfen die trockene Haut der Tiere berühren und sie an ihren zentimeterlangen Krallen hochheben. Das klappt bei allen problemlos, bis ich eines der Tiere nehme und wohl etwas falsch mache: Es windet sich, kratzt und klettert an meinem Arm entlang, ist nur noch wenige Zentimeter von meinem Gesicht entfernt – und steigt dann auf meinen Kopf. Dort verharrt es ruhig, auch ich bewege mich keinen Millimeter. Die anderen Touristen machen haufenweise Fotos. Austin lacht und erzählt mir, dass Leguane gerne auf den höchsten Punkt klettern, wo sie alles überblicken können. Interessant! Aber wohl fühle ich mich trotzdem nicht. Der Leguan verlässt mich erst, als ich zu einem Baum gehe; da stößt er sich von meinem Kopf ab und klettert auf dem Baumstamm bis ganz nach oben.
Erst jetzt bemerke ich, dass mir das Tier den Arm aufgekratzt hat und etwas Blut fließt. Nun ja, lieber von einem Leguan als von einem Hai auf Caye Caulker gezeichnet sein.
Der Chicken Bus hat seinen Namen nicht von ungefähr
Ein Leguan auf dem Kopf – welch ein Fotomotiv!
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