Ganz München wird eine Verführung
Fack ju Göhte? Von wegen! In der Landeshauptstadt steigt das Faust-Festival und es sprengt alle Dimensionen. Ein Gespräch mit Projektleiterin Anna Kleeblatt, Kunsthalle-Direktor Roger Diederen und Gasteig-Chef Max Wagner
Frau Kleeblatt, Herr Wagner, Herr Diederen, zum bevorstehenden FaustFestival in München sind Sie angetreten mit dem Spruch „Ein Drama, eine Stadt, hundert Events“. Es wurden mehr. Wie viele sind’s denn aktuell? Anna Kleeblatt: Über 500 Veranstaltungen! In diese Zahl fließen die Ausstellungen im Theatermuseum oder im Instituto Cervantes genauso ein wie die 200 Führungen und jede einzelne Bühnenaufführung.
Gibt es einen Annahmestopp?
Max Wagner: Nein. Wer mitmachen will, ist willkommen und kann auch jetzt noch problemlos auf unserer Website landen. Das ist die Hauptinformationsquelle des Festivals. Kleeblatt: Es gibt auch keine Jury, die auswählt. Viele Ideen konnten sich durchsetzen, manche Bewerber haben aber auch gemerkt, dass es einfach nicht geht.
Roger Diederen: Jeder muss seine Sache selbst organisieren und finanzieren. Wir bieten nur die Plattform.
„Du bist Faust“heißt es im Ausstellungstitel der Kunsthalle. Was ist denn nun des Pudels Kern beim Festival? Diederen: Wir wollen zeigen, wie aktuell und vielseitig das Thema Faust ist. Das beginnt mit der Kultur und endet in der Wirtschaft oder Forschung.
Wagner: Des Pudels Kern ist aber auch, den kulturellen Reichtum der Stadt zu zeigen und eine Zusammenarbeit, die es so bisher nicht gab: staatlich, städtisch, freie Szene, Privatwirtschaft…
Wie geht das alles zusammen? Diederen: Alle ziehen an einem Strang, weil wir ein Thema gefunden haben, mit dem jeder etwas anfangen kann. Egal, ob da jetzt eine Party, Puppentheater oder eine Techno-Oper draus wird. Das brauchen weniger die großen Institutionen – wenn das Residenztheater den „Faust“aufführt, ist das Haus voll. Wenn jetzt aber die Kleineren wie etwa die Off-Theater mitmachen, bekommen sie eine Aufmerksamkeit wie sonst nie.
Wagner: Auch den großen Institutionen wie der Staatsoper tut’s gut, weil es einen anderen Austausch bringt und auch ein neues Publikum. Die Zahl der Faust-Inszenierungen war in den letzten Jahren überschaubar. Und es soll eine weitverbreitete Reclam-Heft-Phobie geben. Diederen: Deshalb hat unser Festival-Plakat genau dieses ReclamGelb! Mir ist völlig klar, dass viele den Faust-Stoff seit Schulzeiten mit einem gewissen Unbehagen verbinden. Ich hatte ja selbst Bedenken, aber dann bei der Beschäftigung gemerkt, wie schnell sich die in Luft aufgelöst haben. Das ist einfach ein toller Stoff, da steckt ein ganzes Universum drin, und das wollen wir vermitteln.
Woher kommt Ihr Budget? Kleeblatt: Einmal von den Initiatoren Kunsthalle und Gasteig. Jeder unserer Programmpartner zahlt einen kleinen Obolus. Und dann haben wir großzügige Sponsoren wie etwa die Edith-Haberland-WagnerStiftung und die HypoVereinsbank. Oder die Steuerberatergesellschaft KPMG, die übrigens ihre Mitarbei- ter vor eine besondere Aufgabe stellt: Jeder soll sich überlegen, was dessen Pakt mit dem Teufel ist. Also was er für den Job geben würde und wo die Grenze liegt.
Herr Wagner, international wird der Gasteig nicht so sehr wahrgenommen wie etwa das Centre Pompidou in Paris. Gehen Sie deshalb einen Pakt mit dem Teufel ein, um künftig bis ins Weltall zu strahlen?
Wagner: Wir werden mit dem FaustFestival international wahrgenommen. Dass wir das machen, war ja ein Zufall. Mir hat die Idee einfach gefallen und dazu die Haltung des Kunsthalle-Teams, sich wirklich zu öffnen. Das passt in jeder Hinsicht zur Vielfalt des Gasteigs.
Sie sind hier praktischerweise zu dritt, wer spielt welche Hauptrolle im Faust? Diederen: Mephisto, ganz klar. Kleeblatt: Ich war noch nie Gretchen! Diese Hingabe! Wir haben uns doch alle von dieser Idee verführen lassen, etwas Neues auszuprobieren. Wir sind alle verliebt und im Rausch – und deshalb auch Gretchen.
Die große Verführung spielt in den Wissenschaften eine Rolle, von der Kernspaltung bis zur Genmanipulation. Ziehen die Münchner Unis mit? Diederen: Nicht ganz so, wie wir uns das gewünscht haben. An der TU etwa konzentriert man sich auf das Jubiläum der Gründung vor 150 Jahren. An der LMU gibt es Vorlesungen zum Thema. Das Museum „Reich der Kristalle“widmet sich Goethe und den Naturwissenschaften.
Wagner: Beim Kulturkreis Gasteig treten Sahra Wagenknecht, Claus Peymann oder Thea Dorn auf. Da werden wir die ethische Diskussion ganz sicher haben. Und an der Evangelischen Akademie in Tutzing geht es Ende Juni ein ganzes Wochenende um Faust und das Kapital.
Und schon sind wir mitten in der aktuellen Politik …
Diederen: Goethe hat es schon perfekt auf den Punkt gebracht: „Den Teufel spürt das Völkchen nie, und wenn er sie beim Kragen hätte.“Uns wird dauernd etwas vorgegaukelt, wir wissen, dass es Quatsch ist – und wählen trotzdem Berlusconi, Trump oder wen auch immer. Wir sind verführbar wie Gretchen. Sie weiß, der Faust taugt nix und lässt sich trotzdem mit ihm ein. Und dann immer diese Selbstoptimierung: Genug ist nie genug.
Welche Veranstaltungen reizen Sie besonders?
Wagner: Der Osterspaziergang zur Monacensia zum Beispiel. Oder „Faust in the box“, das mit zwei Handpuppen auskommt. Wenn der Hit „Pretty Woman“läuft, weiß man sofort, was los ist.
Kleeblatt: Ich hege ein Faible für „Kasperls Spuikastl“und diese ganz kleinen Bühnenprojekte. Aber das Schöne beim Festival ist ja die Vielfalt. Wenn ich keine Lust auf Programm habe, geh ich auf den Nockherberg und trinke einen Faustus. Den hat Paulaner extra für uns kreiert. Das Genießerische gehört schon auch dazu, gerade in München!