Mehrheit der Bayern für Kreuz Pflicht
Bayerns Sparkassen-Chef Ulrich Netzer sieht die steigenden Preise für Wohnraum in den Ballungsräumen mit Sorge. Er fordert mehr staatliche Hilfe zum Vermögensaufbau und erklärt, wieso die Zahl an Geldautomaten und Filialen sinkt
München Der umstrittene KreuzBeschluss der Staatsregierung wird von einer Mehrheit der bayerischen Wahlberechtigten begrüßt. 56 Prozent stimmten der Entscheidung zu, 38 Prozent lehnten sie ab. Das hat eine repräsentative Umfrage von Infratest dimap im Auftrag des BR ergeben. Dabei zeigt sich ein StadtLand-Gefälle. Während in Gemeinden mit bis zu 5000 Einwohnern zwei Drittel das Vorhaben stützen, tut dies in Städten mit mehr als 100 000 Einwohnern nicht einmal jeder Zweite. Bei der AfD liegt die Zustimmung bei 77 Prozent, bei der CSU mit 71 Prozent ähnlich hoch. Die Unterstützer der SPD sind mit 52 Prozent gespalten. Ablehnung gibt es bei den Sympathisanten der FDP (29 Prozent) und der Grünen (26 Prozent).
Herr Netzer, wie steht es um Ihre Jägermentalität? Der neue Chef der Deutschen Bank fordert dies für sein Institut. Müssen da die Sparkassen nachlegen?
Ulrich Netzer: Nein, es kann nicht um Jagd gehen, nicht um möglichst hohe Renditen und die Jagd nach dem Risiko. Jägermentalität ist für Banken der falsche Weg, das gilt vor allem für uns Sparkassen. Wir wollen den Blick für die Kundenbedürfnisse behalten. Es kommt nicht von ungefähr, dass wir bei zwölf Millionen Einwohnern in Bayern rund 7,6 Millionen Girokonten betreuen.
Trotzdem leiden die Banken unter der Niedrigzins-Situation. Wie laufen die Geschäfte der Sparkassen in Bayern? Netzer: Das Geschäft mit den Kunden wächst, wir haben zum Beispiel nochmals mehr Kredite vergeben. Der Kreditbestand der bayerischen Sparkassen beträgt inzwischen rund 130 Milliarden Euro und ist seit neun Jahren kontinuierlich gestiegen. Wir decken zwei Drittel des Kreditvolumens im Handwerk ab. Auch bei den Immobilienkrediten sehen wir ein Wachstum, vor allem bei den Bauträgern. Die Darlehenszusagen für neue private Immobilienkredite ging 2017 allerdings um vier Prozent zurück.
Trauen sich Privatleute nicht mehr zu bauen? Das passt gar nicht in das Bild des Baubooms.
Netzer: Wir spüren, dass es gerade in den Ballungsräumen angesichts der hohen Preise schwerer wird, überhaupt über eine eigene Immobilie nachzudenken.
Was muss sich ändern, damit eine Familie wieder eine Chance hat, ein Haus zu finanzieren?
Netzer: Die Regierung muss wieder stärkere Anreize für den Vermögensaufbau schaffen! Die Ansätze im Koalitionsvertrag von Union und SPD sind gut – zum Beispiel das Baukindergeld. Unserer Meinung nach könnte man noch etwas weiter gehen.
Netzer: In der Vergangenheit waren steuerliche Anreize zum Bauen sehr erfolgreich.
Werden Baukredite bald wieder teurer? Häufig ist ja derzeit unter Fachleuten von der Zinswende die Rede. Netzer: In den letzten Monaten ist der Zinssatz bei den langfristigen Darlehen bereits ein Stück weit gestiegen. Wenn bald die Anleihekäufe der Europäischen Zentralbank auslaufen, dürfte sich dies auch erhöhend auf den langfristigen Zins auswirken. Deshalb merken wir auch in den letzten drei Monaten ein deutliches Plus von 15 Prozent bei Bausparverträgen. Wer vorhat, in fünf bis zehn Jahren eine Immobilie zu erwerben, sichert sich so das derzeit niedrige Zinsniveau.
Wann kommt die Zinswende bei den Sparern an?
Netzer: Ihren Leitzins wird die EZB so schnell wohl nicht ändern. Ich denke deshalb nicht, dass sich in den nächsten Monaten auf Fest- oder Termingeldkonten Wesentliches bewegt. Immer mehr unserer Kunden entscheiden sich deshalb dafür, sich mit 100 oder 200 Euro im Monat in einem Mischfonds zu engagieren, um so längerfristig und risikoarm Vermögen aufzubauen. Unser Wertpapier-Spargeschäft hat um 50 Prozent zugelegt.
Das Wertpapiergeschäft bringt Ihnen auch gute Provisionen, oder?
Netzer: Die Provisionsüberschüsse sind inzwischen ein wichtiger Teil der Einnahmen der Sparkassen. Angesichts geringerer Zinseinnahmen ist das sehr wichtig. Fast alle Institute – ob Genossenschaftsbanken oder Sparkassen – haben in den letzten Jahren angesichts der niedrigen Zinsen die Preise erhöht, zum Beispiel die Entgelte auf das Girokonto. Auch wenn wir Sparkassen einen Versorgungsauftrag haben, müssen wir die Kosten für unsere Dienstleistungen hereinholen. Dreht sich die Gebührenschraube weiter oder haben Sie ein festes Niveau gefunden?
Netzer: Wir sind in der Breite jetzt sicherlich auf einem marktgerechten Level.
Immer weniger Menschen zahlen bar, sondern zum Beispiel elektronisch mit EC-Karte. Wie wird die Digitalisierung des Bankwesens die Sparkassen verändern?
Netzer: Wie sich der Zahlungsverkehr ändert und wie wir unsere Prozesse durch die Digitalisierung verändern, das werden grundlegende, fast disruptive Vorgänge sein. Es gibt Leute, die sagen, dass man in fünf Jahren keine Kreditkarte mehr hat, weil dann per Smartphone gezahlt wird. Unsere App „Kwitt“zeigt das schon: Im Freundeskreis zahlt einer im Restaurant die Gesamtrechnung, die anderen überweisen ihm mit zwei, drei Klicks ihren Anteil binnen Sekunden.
Braucht man da den klassischen Sparkassen-Geldautomaten noch? Deren Zahl ist in Bayern zuletzt bereits leicht gesunken.
Netzer: In Deutschland wird es noch lange Bargeld geben, aber auch hier verändert sich die Technik. Wir werden als Sparkasse in der Breite Geldautomaten vorhalten, die Zahl geht aber zurück. In Bayern haben die Sparkassen stattdessen Verträge mit 2500 Cash Points: Man kann sich zum Beispiel an der Supermarktkasse Geld auszahlen lassen.
Geht auch der Schwund an Filialen weiter?
Netzer: Für alle, die nicht die neuen digitalen Finanzgeschäfte nutzen wollen, sind wir entsprechend unserem Versorgungsauftrag auch vor Ort präsent. Diese Kunden wollen wir selbstverständlich weiter bedienen! Insgesamt gibt es in Bayern noch immer insgesamt 2878 Geschäftsstellen und Selbstbedienungs-Center.
Das ist aber weniger als 2016. Netzer: Es geht runter, ja. Wir reagieren entsprechend der Kundenfre- quenz. Wenn Kunden nicht mehr in eine Geschäftsstelle gehen, muss man sich über Alternativen Gedanken machen. Verlagern wir aber eine Sparkassen-Filiale auf dem Land, stellen wir fest, dass wir nicht die Ersten sind. Bäcker oder Metzger sind längst schon weg. Wenn man dies ändern will, muss man in der Politik die Frage stellen, wie man auf dem flachen Land die Infrastruktur verbessert.
Lassen Sie uns einen Sprung machen – zur europäischen Politik. Um die Währungsunion fit gegen neue Krisen zu machen, diskutiert die Politik mehrere Reformen. Warum wehren Sie sich gegen eine europäische Einlagensicherung? Würde diese nicht auch den deutschen Sparer schützen, wenn hierzulande einmal Banken wanken? Netzer: Genau das Gegenteil ist der Fall. Erstens haben wir seit Juli 2015 bereits eine harmonisierte und funktionierende europäische Einlagensicherung mit dezentralen Töpfen in den einzelnen Ländern, die das Sparguthaben absichern. Und zwar mindestens 100000 Euro pro Sparer und Bank. Zweitens gibt es das Problem, dass wir sehr unterschiedliche Risikolagen in den einzelnen Ländern durch „faule Kredite“haben, sogenannte „non-performing loans“. Europaweit gibt es über 900 Milliarden solcher Kredite, in Deutschland sind es 55 Milliarden, in Italien zum Beispiel aber 196 Milliarden. Mit einer zentralisierten Einlagensicherung hätte kein Land einen Anreiz, faule Kredite abzubauen. Damit bliebe das Risiko nach wie vor hoch – und die Haftung trügen die anderen. Eine zentrale Einlagensicherung kann nicht im Sinne des Sparers hierzulande sein. Ein zentraler Sicherungstopf ist der falsche Ansatz.
Die Bundesregierung schließt die zentrale Einlagensicherung aber nicht für immer aus. Sollten die Bilanzen einmal bereinigt sein, wäre diese für Finanzminister Olaf Scholz akzeptabel. Können Sie damit leben?
Netzer: Sollten die faulen Kredite wirklich abgebaut werden, ist nach unserer Meinung erst recht keine zentrale Einlagensicherung nötig. Denn wenn die Risiken abgebaut sind, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass die nationalen Töpfe nicht ausreichen, extrem.
Sollten die Sparkassen angesichts der soliden Ertragssituation nicht mehr Geld an die Kommunen ausschütten? Netzer: Dafür sehen wir zurzeit nicht den richtigen Zeitpunkt. Die Sparkassen in Bayern verfügen derzeit im Schnitt über 16,6 Prozent Eigenkapital. Die Finanzaufsicht verlangt aber bereits jetzt – Tendenz steigend – durchschnittlich ein Eigenkapital von 14 bis 14,5 Prozent. Doch Sparkassen brauchen genug freie Mittel, um wachsen zu können. Deshalb halten wir es für besser, mehr Eigenkapital aufzubauen, statt dieses auszuschütten.