Die simplen Thesen der Populisten machen die Kirchen politischer
Leitartikel Man mag sie als Gutmenschen verspotten oder ihnen Einmischung vorwerfen, aber wenn Menschen ausgegrenzt werden, müssen Christen sich zu Wort melden
Ein Gespenst geistert durch Deutschland. Es heißt Politikverdrossenheit und Demokratiemüdigkeit. Es verleitet dazu, die einfachen Antworten, die „sauberen“Lösungen und die klaren Einteilungen zu bevorzugen. Das wird dann ausgegeben als Volkes Stimme und ebenso aggressiv wie subversiv in die Öffentlichkeit getrötet. Und die Wut kocht auf und die Angst greift um sich.
Und wer hält dagegen? Wer ruft zu kühler Vernunft, wer verteidigt die Menschlichkeit? Die parlamentarische Debatte im Bundestag ist lebhafter geworden, seit sechs Parteien von weit rechts bis weit links drin sitzen. Hart stoßen sich die Positionen und zugenommen haben auch die Provokationen hart an der Grenze zum Unsäglichen.
Den Extremen zu widersprechen gilt den Populisten geradezu als Bestätigung, dass man unangenehme Wahrheiten hierzulande nicht hören will. Doch was sind dies für „Wahrheiten“? Solche von Ausgrenzung, von Verdächtigung und Verleumdung.
Die Kirchen sind politischer geworden, seit der Rechtspopulismus die Statik der Gesellschaft erschüttert. Als zu Hunderttausenden Flüchtlinge in Deutschland ankamen, haben sie sich für vorbehaltlose Gastfreundschaft starkgemacht. Christen engagierten sich in den Helferkreisen, Caritas und Diakonie versorgten die Ankommenden mit dem Nötigsten, die Kirchengemeinden stellten Unterkünfte zur Verfügung. Und sie machten sich zu Anwälten der Geflüchteten, als sie mehr und mehr Hass zu spüren bekamen.
Man mag die Christen deswegen als naive Gutmenschen verspotten oder den Kirchen unzulässige Einmischung vorwerfen. Wenn Menschen ausgegrenzt, diffamiert und herabgesetzt werden, müssen sie sich zu Wort melden und einschreiten. Weil nach ihrem Glauben das Gesicht Gottes in jedem Menschen aufleuchtet. „Was ihr einem der Geringsten unter euch getan habt, das habt ihr mir getan“, sagt Jesus. An diesem Maßstab hat sich christliches Handeln zu orientieren.
Entkräftet wird damit auch der gern von Konservativen geäußerte Vorwurf, die Kirchen sollten sich mehr um die Glaubensweitergabe und die religiöse Praxis kümmern, als das Geschäft der Politiker zu betreiben. Beides gehört zusammen, so wie der Mensch ganzheitlich aus Leib, Geist und Seele besteht. Die Bibel stellt ein wertvolles Bild vom Menschen vor: ausgestattet mit einzigartiger Würde, mit freiem, verantwortlichem Willen und mit einer Berufung zu einem höheren Ziel – „ewiges Leben“genannt.
Was vielleicht wie steile Theorie klingt, lässt sich in kleiner Münze in der alltäglichen Praxis auszahlen. Diese Wertorientierung macht das mühsame Aushandeln machbarer und bezahlbarer Politik nicht überflüssig. Deshalb wird der Katholikentag in Münster wieder einmal auf vielen Themenfeldern diskutieren, was am besten dazu dient, in einer immer komplexeren, globalisierten Welt eine humane Gesellschaft zu gestalten.
Dazu muss man sich die Zeit nehmen, Expertenwissen abzufragen und verschiedene Alternativen zu debattieren. Wenn das Bundeskabinett so stark wie selten zuvor beim Katholikentag vertreten sein wird, zeigt dies, wie sehr die Politik auf Vermittlung angewiesen ist. Nicht mit starken Worten im Bierzelt, sondern mit überzeugenden Argumenten im friedlichen Streit.
Der bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm engagiert sich aktuell in der Initiative „Demokratie – find ich gut!“, weil sie eine „so kostbare Staatsform ist“. Es gab eine Zeit, da fürchteten die Kirchen um die Wahrheit, wenn sie im pluralen, freiheitlichen Diskurs errungen wird. Heute müssen sie um die Wahrheit fürchten, wenn sie dem Populismus anheimfällt.
Glauben und Politik gehören zusammen wie Leib und Seele