Die ersten Störche in Marienheim
Es ist ein Zuzug der besonderen Art: Zum ersten Mal nehmen Störche Kurs auf den Stadtteil im Südosten Neuburgs und landen in einem eigens für sie gemachten Nest
Neuburg Schnäbelklappern hallte vor drei Wochen über das verlassene Gelände der ehemaligen NeuhofBrauerei in Neuburg und erfüllte es mit neuem Leben. Ein Storchenpaar turtelte rund um das historische Backsteinareal und flog vergnügt von einem Dach aufs andere. Vor allem der Schornstein hatte es den Frühlingsboten angetan: Wieder und wieder steuerten sie mit akrobatischen Flugmanövern auf ihn zu, nahmen ihn in Besitz, während unten die Passanten stehenblieben und das Naturschauspiel beobachteten (wir berichteten). Dann waren die Tiere auf einmal verschwunden und die Liebesgeschichte schien so schnell vorbei, wie sie begonnen hatte.
Es wäre das erste Mal gewesen, hätte sich tatsächlich ein Storchenpaar in der Neuburger Innenstadt niedergelassen, sagt Gunter Weinrich. Der Storchenexperte aus Neuburg verfolgt seit Jahrzehnten die Storchenpopulation in der Region und kann sich an keinen Fall erinnern, in denen es Störche dauerhaft in der Innenstadt ausgehalten hätten – schon gar nicht hätten sie dort gebrütet. Nicht, dass es in Neuburg schön wäre, aber der Kernbereich ist einfach nicht das richtige Pflaster für Meister Adebar. Beispiel Neuhof-Schornstein: Ja, er ist hoch und die Lage ruhig, aber der offene Schlund der Esse verschlingt gierig auch nur den geringsten Ansatz eines Nestes. „Das ganze Nistmaterial fällt rein und der Nestbau hat sich erledigt“, sagt Weinrich. Außerdem ernähren sich Störche von Fischen, Fröschen und Nagetieren, und die leben auf versiegelten Innenstadtflächen nun mal nicht im Überfluss.
Vielleicht hat die Liebesgeschichte aber dennoch ein Happy End gefunden. Nicht in der Innenstadt, aber ein paar Kilometer weiter, im Südosten Neuburgs. Es ist zwar nur eine Spekulation, aber es sei gut möglich, sagt Weinrich, dass die beiden Stadtstörche, die ihr Glück zuerst auf dem Brauereischornstein gesucht hatten, letztlich Zuflucht in Marienheim gefunden haben. Warum? Weil viele etablierte Nester oft über Jahre von denselben Paaren belegt seien, dieses Nest dagegen sei neu – genau wie das Paar – und war eventuell noch frei. Der 490-SeelenGemeinde Marienheim kann egal sein, woher die Zuzügler kommen, sie hat seit diesem Frühjahr zwei tierische Einwohner mehr und ist stolz darauf, denn das gab es in dem Stadtteil noch nie.
Für Sandra Stowasser ist mit dem Besuch der Weißstörche ein Kindheitstraum in Erfüllung gegangen. Sie war es, die im vergangenen Jahr aus dem Wald extra einen zwölf Meter hohen Baumstamm kommen, ihn mitten auf der Pferdekoppel ihres Anwesens aufstellen ließ und mit Hilfe eines Nachbarn am oberen Ende einen selbst gebauten Nistplatz installierte. In der Hoffnung, dass die Störche darauf fliegen, sagt die junge Mutter aus Marienheim. Als Kind habe sie immer eine Kindersendung geschaut, in der ein Storch geflogen kam. „Seither habe ich immer davon geträumt, einmal selbst Störche in meinem Garten zu haben.“
Dieses Frühjahr war es dann soweit. „Das Pärchen kam und hat sofort fleißig zu bauen begonnen“, freut sich Stowasser. Seither lässt sie die beiden nicht mehr aus den Augen. Über die Storchenmutter weiß sie, dass sie derzeit die meiste Zeit des Tages hockend im Nest verbringt und vermutlich Eier ausbrütet. Ihr Gatte ist unterwegs und schafft Futter ran, die klassische Rollenverteilung. Wer die beiden zusammen sehen möchte, habe mornicht gens und abends die besten Chancen, sagt sie. Und es sind nicht wenige, die das Storchenpaar sehen wollen. Die Nachricht über die Neulinge machte schnell die Runde, inzwischen versammeln sich Schaulustige nicht mehr auf dem Neuhof-Gelände, sondern sind den Störchen nach Marienheim gefolgt. „Es kommen immer wieder Leute, die sich nach den Tieren erkundigen oder Fotos machen wollen“, sagt Stowasser. Und dabei sind noch nicht einmal Jungtiere zu bestaunen.
Das Paar in Marienheim ist eines von insgesamt 19, die sich in der Region niedergelassen haben. Vor 20 Jahren waren es gerade einmal zwei Paare, weiß Weinrich. Die Tiere fühlen sich offenbar wohl hier, bei den Menschen sind sie sowieso als Glücks- und Kinderbringer beliebt. Ausnahmen bestätigen die Regel. Vor ein Paar Jahren hat sich ein Storchenpaar den Kamin einer Gaststätte in Karlskron als Liebesnest auserkoren und prompt einer Kellnerin auf dem Weg in den Biergarten einen Gruß aus der Luft mitten aufs Tablett gesetzt. Die Folge: Die Störche wurden umgesiedelt, seither haben sich wieder alle lieb. Den Pferden auf der Koppel in Marienheim dürfte Ähnliches wurscht sein.