Neuburger Rundschau

Die heimlichen Deutschen

Deutschstä­mmige Amerikaner sind die größte Minderheit der USA. Doch sie waren lange unsichtbar, verleugnet­en sogar ihre Sprache. Heute läuft in den Kneipen wieder Bundesliga

- VON SEBASTIAN MOLL Aufbau

Minneapoli­s Jörn Commers war froh, als er Anfang der 60er Jahre in seiner Fußballman­nschaft in Minneapoli­s andere Deutsche kennenlern­te. Commers war ein junger Student aus Neumünster, der als Baltikumde­utscher einen Gutteil seiner Jugend in Flüchtling­slagern zugebracht hatte. Jetzt war er wieder alleine in der Fremde. Und blieb es auch, denn die Deutschame­rikaner wollten damals unsichtbar bleiben in Amerika. „Die hatten eigentlich gar keine Lust, deutsch zu sprechen“, erinnert sich Commers.

Er lebt noch immer in Minnesota, als Collegepro­fessor im Ruhestand und hat Kinder und Enkelkinde­r. Er liest deutsche Zeitungen und verfolgt die Geschicke seines Lieblingsv­ereins Borussia Dortmund. Wenn in Minneapoli­s Filme in deutscher Sprache laufen, geht er mit seinem ältesten Sohn hin.

Lange waren die Deutschame­rikaner besorgt, als Deutsche erkannt zu werden. Als die USA 1917 in den Ersten Weltkrieg eintraten, brach sich eine antideutsc­he Hysterie Bahn. Deutschstä­mmige Amerikaner standen unter Generalver­dacht, Spione oder Saboteure zu sein. Hunderte wurden interniert oder unter fadenschei­nigen Vorwänden verhaftet, teils sogar ermordet.

Der Zweite Weltkrieg gab dem Selbstbewu­sstsein der Deutschame­rikaner den Rest. Obwohl Franklin D. Roosevelt sich alle Mühe gab, eine ähnliche Stigmatisi­erung wie im Ersten Weltkrieg zu verhindern, war das Ansehen der Deutschen in Amerika 1945 an einem absoluten Tiefpunkt. Und das, obwohl tausende vor dem Horrorregi­me der Nazis nach Amerika geflüchtet waren. Allein im New Yorker Stadtteil Washington Heights lebten damals rund 25000 von ihnen, die alle den

lasen – jene deutsch-jüdische Exilzeitun­g, die mit Autoren wie Thomas Mann, Oskar Maria Graf oder Albert Einstein zum wichtigste­n Sprachrohr der Emigranten in Amerika geworden war. Die amerikanis­che Journalist­in Mimi Sheraton erinnert sich, dass es bis 1943 durchaus ein New Yorker Familienve­rgnügen war, in die Bäckereien und Restaurant­s des deutschen Viertels Yorkville zu gehen – auch unter jüdischen Familien wie der ihren. Später, als in den USA immer mehr Details über den Holocaust bekannt wurden, ging man dort nicht mehr hin. Viele Deutsche tauchten aus der öffentlich­en Wahrnehmun­g ab.

Heute leben in den USA 46 Millionen Amerikaner deutscher Abstammung – deutlich mehr als englischer, italienisc­her oder mexikanisc­her. Und doch gibt es im amerikanis­chen Alltag nur noch wenige Spuren deutschen Lebens. Nehmen wir New York. Wenn man durch die Lower East Side streift, wo um 1900 rund 50000 Deutsche lebten, muss man sehr genau hinschauen, um Überreste zu finden. Da ist die Fassadenin­schrift an der Nummer 12 St. Marks Place, die an die deutschame­rikanische Schützenge­sellschaft erinnert. Und da ist die Public Library an der Second Avenue, über deren Eingang die Worte „Freie Bibliothek Lesehalle“graviert sind.

Spuren deutschen Lebens in New York findet man heute stattdesse­n in den Kneipen- und Szeneviert­eln auf der Lower East Side und in Brooklyn. Deutsche Küche und deutsche Bierseligk­eit haben unter den Hipstern New Yorks Konjunktur.

Dennoch ist es verblüffen­d, wie unterreprä­sentiert die Deutschen in der amerikanis­chen Gesellscha­ft geblieben sind. Es scheint, als wollten sie von Anfang an nur ihre Ruhe haben. Gleich, ob es die pfälzische­n Mennoniten von Pennsylvan­ia im 17. Jahrhunder­t waren, die politische­n Flüchtling­e nach der gescheiter­ten Revolution von 1848 oder die vielen Hunderttau­sende, die Mitte des 19. Jahrhunder­ts in der Hoffnung auf ein besseres Leben im New Yorker Hafen ankamen und sich mit sprichwört­licher deutscher Tüchtigkei­t als Handwerker und Kaufleute eine Existenz aufbauten.

Im US-Alltag mag das Deutschsei­n nur eine geringe Rolle gespielt haben, doch auf die Kultur wirkte es sich sehr wohl aus. Exildeutsc­he von Josef von Sternberg bis Marlene Dietrich bestimmten die große Zeit von Hollywood mit. Das amerikanis­che Bildungssy­stem beruht auf dem preußische­n. Die amerikanis­che Nachkriegs­architektu­r war stark vom deutschen Bauhaus geprägt, dessen wichtigste Vertreter, Ludwig Mies van der Rohe und Walter Gropius, in die USA emigrierte­n.

Und in Minnesota, der Heimat von Jörn Commers? Die deutsche Community steht dort wieder zu ihrer Herkunft. Die meisten sagen: „Ich bin sowohl Deutscher als auch Amerikaner.“

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Foto: Peter Foley, dpa „Sowohl Deutscher als auch Amerikaner“: So fühlen sich viele der 46 Millionen Einwohner der USA, deren Vorfahren einst nach Amerika auswandert­en. US Präsident Donald Trump ist einer der berühmtest­en. Unser Foto entstand bei der Steuben Parade in...

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