Buenas noches, Argentina!
Trainer Sampaoli hat die Mannschaft dem Spiel seines Superstars untergeordnet. Das schafft Gräben, auch weil Messi bisher enttäuscht hat. Ergebnis ist das 0:3 gegen Kroatien. Der Vize-Weltmeister steht vor dem Aus
Nischni Nowgorod Natürlich ging es schnell wieder um Lionel Messi, und Trainer Jorge Sampaoli fand erneut keinen Ausweg aus jenem Dilemma, das ganz Argentinien aus Hingabe zu seinem Kunstkicker in den immer gleichen Fehler treibt. Sampaoli unterschied zwischen Messi und Mannschaft, er begreift und coacht sie nicht als ein Gebilde, sondern nach dem Gusto des Solisten. Das soll zwar dem Schutz des Säulenheiligen Messi dienen, der angeblich sogar erheblichen Einfluss auf die Aufstellung nimmt. Doch ganz offensichtlich schadet Sampaoli damit allen. „Leo ist limitiert, weil das Team nicht so mit ihm spielt, wie es sollte“, befand er.
Eine echte Einheit lässt sich allerdings kaum formen, wenn sich der Trainer stets auf die Seite des Einzelkönners und gegen die 22 anderen stellt. Und welch tiefe Gräben er damit aufreißt, wurde rasch deutlich, als Sergio Agüero demonstratives Desinteresse an des Trainers Kritik kundtat. „Soll er doch sagen, was er will“, blaffte der Stürmer.
Nach dem 0:3 (0:0) gegen Kroatien und nur einem Punkt aus zwei Spielen lässt sich Argentiniens WMAus kaum noch verhindern. Es gehört schon sehr viel Fantasie dazu, dem sich selbst zerlegenden WMZweiten von 2014 vor dem letzten Gruppenspiel gegen Nigeria am Dienstag in St. Petersburg ein mittleres Wunder zuzutrauen. Zumal die Argentinier selbst nicht mehr an ein solches zu glauben scheinen. „Weder mit dem ersten noch mit dem zweiten System hat es funktioniert“, erkannte der Trainer nach seinen Umstellungen, weil alle außer Messi „das Projekt nicht verstanden haben“. Was als Schuldzuweisung daherkam, war in Wahrheit Ausdruck von Sampaolis Verzweiflung und Ohnmacht.
Argentiniens Schicksal wird nun ohnehin fremdbestimmt. Aus eigener Kraft können Messi und Kollegen das Aus nach der Gruppenphase nicht mehr verhindern. Zuletzt musste Argentinien 2002 so früh abreisen. Diesmal mangelt es vor allem an spielerischer und mentaler Kraft sowie am nötigen Gemeinsinn. Bei seiner vorzeitigen Versetzung ins Achtelfinale hatte Kroatien dem vermeintlichen Favoriten und Titelkandidaten gezeigt, was eine funktionierende Mannschaft ausmacht, der eine lange Reise durch Russland zuzutrauen ist. Wehrhaft und leidenschaftlich trat das Kollektiv von Zlatko Dalic auf, ausgestattet mit einer klar erkennbaren Strategie. Hinzu kamen eine spielerische Finesse und Überzeugung vom eigenen Tun, von der Argentiniens orientierungslos wirkende Gruppe aus Individualisten so fern schien wie Nischni Nowgorod vom Río de la Plata.
Das ganze Leid Argentiniens stand dabei seinen beiden FußballIkonen ins Gesicht geschrieben, jedem auf ihre Weise. Diego Maradonas rauschhaftes Toben auf der Tribüne hatte sich in ein ebenso hemmungsloses Schluchzen gewandelt. Dem Wahnsinn kam er vielleicht auch deshalb endgültig nahe, weil er den Gegner Kroatien im Dezember mit seiner angeblichen Hand Gottes aus der Lostrommel gezogen hatte. Messi dagegen schlich so apathisch von dannen, wie sein Spiel geraten war. Nur 49 Ballkontakte und 7,6 Kilometer Laufstrecke notierten die Statistiker, dazu gerade einmal einen Abschlussversuch. Aufs Tor kam der Ball nicht. Die schon vor- her angeschwollenen Debatten um ihn und die Albiceleste wurden danach in ein Urteil überführt, das keinen verschonte. Von einem „Desaster“und von „Inkompetenz“war in den argentinischen Medien ebenso die Rede wie von einem vorhersehbaren Niedergang. Auch Messi steht massiv in der Kritik, Fans fordern seinen Rücktritt. „Sein Feuer ist erloschen“, schrieb und
befand: „Die Leistung von Messi gehört zu den schlechtesten seiner Karriere.“Die gefährliche MiTrainer schung aus hohen Erwartungen und fehlender Selbstgewissheit kulminierte in der 53. Minute in jener Szene, die stellvertretend stand für Argentiniens missratene WM, die eigentlich als Krönungsmesse für Messi vorgesehen war. Torwart Wilfredo Caballero hatte sich an einem kunstvollen Lupfer über Ante Rebic versucht. Doch die Artistennummer verkam zur Slapstick-Vorlage für den Stürmer von Eintracht Frankfurt, der mit seinem Volleydrehschuss Kroatiens Entschlossenheit demonstrierte. „Als sie getroffen haben, waren wir emotional gebrochen“, erkannte Sampaoli.
Messis Ziel, mit dem Titelgewinn endlich vollkommen von seiner vierten und wahrscheinlich letzten WM heimzukehren, hatte schon durch seinen verschossenen Elfmeter beim 1:1 gegen Island viel Schaden genommen. Nun zerbröselte sein Titeltraum weiter. Ohne Plan und Zuversicht rannte Argentinien danach wild an, Kroatien sezierte kühl den fahrigen Gegner. Und nachdem Luca Modric formschön das 2:0 geschlenzt hatte (80.), wurde Argentinien in den letzten Minuten vorgeführt, angereichert durch das 3:0 von Ivan Rakitic in der Nachspielzeit. „Ich empfinde keine Scham, aber definitiv Schmerz,“sagte Sampaoli. Er gab vor, alle Verantwortung auf sich zu nehmen, trotz seiner Schuldzuweisungen an alle außer Messi, und bat die Fans um Verzeihung. Die Debatten erfassen den Trainer aber längst mit voller Wucht. Direkt nach dem Abpfiff war er zudem von einigen Fans angefeindet, beleidigt und gar bespuckt worden.
Spekuliert wird, dass Lionel Messi dem ewigen Scheitern mit Argentinien nun tatsächlich endgültig überdrüssig werden und in Kürze seinen zweiten und unumkehrbaren Rücktritt einreichen könnte. Am Sonntag wird er 31 Jahre alt, bei der Winter-WM 2022 wäre er schon ein halbes Jahr lang 35. Für eine Krönung seiner Karriere wäre es dann wohl erst recht zu spät.