Bagatellfälle machen Rettungsdiensten zu schaffen
Die Einsätze nehmen massiv zu. Die Mitarbeiter stehen unter Druck. Wie lässt sich die Lage verbessern?
München Stehen die Rettungsdienste in Bayern kurz vor dem Kollaps? Oder ist die Lage trotz stark gestiegener Einsatzzahlen im Griff? Bei einer Anhörung im Landtag gingen die Meinungen über den Zustand der Notfallrettung unter den geladenen Experten weit auseinander.
„Zur Versorgung der schwer kranken und schwer verletzten Patienten ist der Rettungsdienst hervorragend aufgestellt“, findet etwa der Landesbeauftragte für den Rettungsdienst, Dr. Michael BayeffFilloff. Allerdings gebe es zunehmend Einsätze, die eigentlich nicht vom Rettungsdienst versorgt werden müssten.
Um fast die Hälfte ist die Zahl der Notfall-Einsätze insgesamt in den letzten zehn Jahren gestiegen, ziehen die Experten Bilanz. Allerdings habe auch die Zahl sogenannter „Fehlfahrten“ohne jeden medizinischen Grund um mehr als ein Drittel zugenommen. Woran diese Zuwächse genau liegen, blieb mangels statistischer Auswertung der Einsätze jedoch auch im Landtag weiter im Dunkeln: Eine älter werdende Gesellschaft, ein „hohes Anspruchsdenken“der Bevölkerung an die ärztliche Versorgung auch bei medizinischen Bagatellen oder eine schlechter werdende Versorgung durch wohnortnahe Krankenhäuser oder ständig verfügbare Hausärzte wurden in der Anhörung als mögli- che Gründe angeführt. „Immer mehr Rettungsdienste aufzustellen, kann solche grundlegenden Probleme aber nicht lösen“, warnte der Notfallmediziner Dr. Stephan Prückner. Zumal die Auslastung der Notfall-Retter sehr unterschiedlich sei: Mehr als sechzig Prozent aller Rettungsstationen in Bayern hätten in 24 Stunden maximal fünf Einsätze. „Da ist schon noch ein Puffer drin“, findet Prückner. „In städtischen Regionen fahren die Rettungswagen dagegen in der Früh raus und sind dann quasi 24 Stunden im Dauereinsatz“, sagt der Notfallmediziner.
Lorenz Ganterer, bei der Gewerkschaft Verdi für den Fachbereich Gesundheit zuständig, sieht dagegen bei allen Rettungsdiensten sehr grundsätzliche Probleme: „Mehrere hundert Überstunden sind in diesem Bereich die Regel“, berichtete er. Eine hohe Arbeitsbelastung im Schichtdienst, keine Einhaltung von Ruhezeiten, fehlende Personalpuffer bei Krankheiten oder Unterbesetzung – all dies führe bei den Mitarbeitern „trotz hoher Empathie für den Beruf zu sehr hohen Ausstiegsquoten“.
Der Druck auf viele Mitarbeiter sei extrem, warnte auch Josef Pemmerl vom Malteser Rettungsdienst. Hauptgrund sei „chronischer Personalmangel“aber auch anhaltender Kostendruck. Alle Rettungsdienste suchten zudem „händeringend gutes Personal“, klagte Pemmerl: „Aber niemand will’s mehr machen.“
Wie lässt sich die Situation aber verbessern? Sinnlose Einsätze zu reduzieren, wäre aus Sicht der Experten ein vielversprechender Ansatz. Doch in der Praxis sei dies meist nicht so einfach: „Wir haben viele sinnlose Einsätze aus Furcht vor juristischen Drangsalierungen“, warnte Prof. Michael Schroth, Chef der Arbeitsgemeinschaft bayerischer Notärzte. Niemand in den Notrufzentralen traue sich mehr, einen fragwürdigen Notruf als Bagatelle abzuwimmeln, glaubt auch Verdi-Mann Ganterer: „Die Folgen könnten auch für den Einzelnen arbeits- und haftungsrechtlich gravierend sein.“