Seehofers misslungenes Zahlenspiel
Scharfe Kritik am Innenminister nach Suizid eines Abgeschobenen. Treffen mit Salvini in Innsbruck
Berlin/Innsbruck Eine flapsige Bemerkung und der mutmaßliche Suizid eines abgeschobenen Afghanen haben die Kritik an der Flüchtlingspolitik von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hochkochen lassen. Seehofer hatte sich zufrieden darüber gezeigt, dass mit dem Abschiebeflug an seinem 69. Geburtstag (also am Mittwoch, den 4. Juli) 69 Menschen in das Krisenland zurückgebracht wurden. „Ausgerechnet an meinem 69. Geburtstag – das war von mir nicht so bestellt – sind 69 Personen nach Afghanistan zurückgeführt worden“, sagte er. „Das liegt weit über dem, was bisher üblich war.“Die umstrittene Äußerung machte Seehofer am Dienstag bei der Vorstellung seines „Masterplans Migration“.
Der Flug war am Mittwoch der vergangenen Woche von München aus gestartet. Einer der Insassen des Fluges wurde inzwischen tot in einer Übergangsunterkunft in Kabul aufgefunden, wie ein Sprecher des Bundesinnenministeriums unter Berufung auf Angaben der afghanischen Behörden am Mittwoch mitteilte. Der Mann sei wegen Diebstahls und Körperverletzung mehrfach rechtskräftig verurteilt worden, fügte der Sprecher hinzu.
Der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl zufolge handelt es sich bei dem Afghanen um einen 23-Jährigen, der acht Jahre lang in Deutschland gelebt haben soll. „Durch die Abschiebung in eine perspektivlose Lage und in ein Land, dessen Realität er kaum noch kennt, wurde der junge Mann offenbar in eine Lage getrieben, in der er keinen Ausweg mehr sah“, erklärte Pro Asyl. Dem Bayerischen Flüchtlingsrat zufolge standen beim jüngsten Flug auch Auszubildende, darunter ein Bäcker-Azubi, Berufsschüler und ein Mann in einem festen Arbeitsverhältnis auf der Abschiebeliste. „Die diebische Freude“Seehofers über die Abschiebung von 69 Menschen an seinem 69. Geburtstag entlarve sich angesichts des tragischen Todes „als geradezu mörderische Schadenfreude“, sagte Ulla Jelpke (Linke).
Eine harte Abrechnung kam aus Bayern. Die frühere Bundesministerin und Chefin der Bayern-SPD, Renate Schmidt, wirft Seehofer eine direkte Mitverantwortung am Tod von Flüchtlingen vor. „Menschen wissentlich ertrinken zu lassen, wird von Ihnen als Teil der Lösung des Flüchtlingsproblems gesehen. Ab sofort sind die bisher 1400 Toten im Mittelmeer auch Ihre Toten“, schreibt die frühere Bundesfamilienministerin in einem am Mittwoch abgeschickten Brief an Seehofer.
Der derart attackierte CSU-Chef selbst äußerte sich am Abend zu dem Todesfall: „Das ist zutiefst bedauerlich, und wir sollten damit auch sachlich und rücksichtsvoll umgehen“, sagte er in Innsbruck. Dort traf Seehofer mit seinem italienischen Kollegen Matteo Salvini zusammen. Der Bundesinnenminister strebt bis Ende Juli oder Anfang August ein Abkommen mit Italien zur Rücknahme von Flüchtlingen an. Darauf hätten sich beide Seiten verständigt, sagte er nach dem Treffen mit Salvini. Gleichzeitig solle auch über das Thema der Seenotrettung gesprochen werden. „Das ist auch ein berechtigtes Anliegen von Italien.“Salvini, der Chef der rechten Lega-Partei, betonte, Italien werde keinen einzigen Flüchtling zurücknehmen, bevor Europa nicht seine Außengrenzen schütze. „Wenn das Realität wird, werden wir über alles andere diskutieren.“Seehofer zufolge wurde am Mittwochabend vereinbart, dass Mitarbeiter der Ministerien „jetzt sehr schnell“Gespräche aufnehmen. „Der Geist heute war sehr lösungsorientiert. Aber zwischen einem guten Auftakt und einer wirklichen Lösung am Schluss liegen meistens noch schwierige Gespräche.“
Am heutigen Donnerstag treffen sich die EU-Innenminister in Innsbruck. Dabei geht es auch um Abkommen Deutschlands mit anderen EU-Staaten zur Rücknahme von Flüchtlingen. Sie wären zentraler Bestandteil der Einigung im wochenlangen Asylstreit der Großen Koalition und sollen von Seehofer angedrohte nationale Alleingänge unnötig machen. Seehofer will bis Monatsende Klarheit haben.