Nachfolger gesucht
Fast 15 Jahre ist es her, dass eine Concorde zuletzt durch die Wolken schnitt. Doch der Überschallverkehr soll wiederkommen – passende Flugzeugkonzepte liegen bereit
Der Entwurf eines Überschallfliegers von Boeing mutet auf den ersten Blick wie ein Raumschiff an. Und beinahe astronomische Höhen soll der Flieger auch erreichen – mit 27 000 Metern Flughöhe stößt die Maschine bis in die Stratosphäre vor. Damit übertrifft sie die Flughöhe der Concorde mit 18000 Metern deutlich. Die Geschwindigkeit soll bei rund 6200 Kilometern in der Stunde liegen – das entspricht fünffacher Schallgeschwindigkeit. Mit diesem Tempo könnte der Flieger innerhalb von nur zwei Stunden von London nach New York fliegen. Mit normalen Passagiermaschinen, wie sie heutzutage fliegen, müssen Fluggäste sieben Stunden für diese Strecke einplanen.
Allerdings hat Boeing bisher kaum Einzelheiten zu seinem Überschallflieger offengelegt. Denn grundsätzlich haben diese Flugzeuge einige Probleme, für die es Lösungen zu finden gilt. Eines dieser Probleme ist der Überschallknall. Der entsteht, weil sich die Luft in der Umgebung des Flugobjekts stark verdichtet und eine Stoßwelle aussendet. Der Knall wird dabei unter Umständen extrem laut und belästigt dadurch nicht nur Bewohner am Boden, sondern kann für die Passagiere regelrecht schmerzhaft sein.
Ein weiteres Problem ist die Beschleunigung. Bei militärischen Überschallflugzeugen müssen Piloten teils Fliehkräfte von acht G aushalten, also die achtfache Erdbeschleunigung. Das funktioniert nur mit einem speziellen Schutzanzug und langem Training. Boeing muss also eine Möglichkeit finden, die Beschleunigung moderat zu halten. Zeit dafür haben sie genug – der Überschallflieger soll erst in 20 bis 30 Jahren abheben. Der Flugzeughersteller Boom ist neu auf dem Markt, arbeitet aber ambitioniert auf ein Überschallflugzeug hin. Der Boom Airliner soll Mitte der 2020er Jahre den Betrieb im Linienflug aufnehmen. Das kleinere Vorläufermodell Boom XB-1, auch Baby-Boom genannt, soll schon Ende dieses Jahres seinen Jungfernflug absolvieren. Die Fluggeschwindigkeit liegt bei beiden Maschinen bei Mach 2,2. Damit ist der Jet wesentlich langsamer als das geplante Boeing-Flugzeug – die Strecke London–New York dauert mit diesem Tempo gut drei Stunden. Trotzdem übertrifft der Boom Airliner die Fluggeschwindigkeit der alten Concorde, die „nur“zweifache Schallgeschwindigkeit erreichte.
Doch der neue Jet soll wesentlich kleiner werden als die Concorde. Während das alte Überschallflugzeug bis zu 118 Passagieren Platz geboten hat, wird der Boom Airliner nur 55 Fluggäste transportieren. Zum Vergleich: Der weitverbreitete Urlaubsflieger Airbus A321 bietet Platz für 200 Passagiere. Der begrenzte Raum des Boom-Überschallflugzeugs scheint für einige Airlines aber kein Problem zu sein. Dutzende Maschinen wurden bereits bestellt, außerdem hat die Firma mit Japan Airlines einen strategischen Verbündeten gefunden. Die Fluglinie erklärte sich bereit, zehn Millionen US-Dollar in das Unternehmen Boom zu stecken.
Für Passagiere soll der Flug angenehmer werden als früher in der Concorde. Das Unternehmen gab an, dass der Überschallknall um 30 Prozent leiser sein soll als der Knall der Concorde. Durch die geringe Zahl an Sitzplätzen rechnet die Firma außerdem damit, dass der Flieger – im Gegensatz zur Concorde – regelmäßig voll belegt sein wird. Auch der US-Rüstungskonzern Lockheed Martin arbeitet an einem Überschalljet. Das Projekt wurde von der USRaumfahrtbehörde Nasa in Auftrag gegeben – für einen Preis von rund 250 Millionen Dollar. Der Auftrag sieht allerdings erst ein Testflugzeug vor, das nur halb so groß wie die endgültige Version sein soll. Läuft alles nach Plan, wird das „X-plane“Ende 2021 seinen ersten Testflug starten.
Das Besondere am Nasa-Projekt: Das Flugzeug soll keinen lauten Überschallknall erzeugen, trotz einer Höchstgeschwindigkeit von Mach 1,5. Dazu haben Forscher der Nasa Flugdaten und Aufnahmen von Überschallflugzeugen analysiert. Durch eine angepasste Konstruktion werde ihr X-plane einen Knall erzeugen, der am Boden kaum hörbar sein wird – so die Aussage der Projektleiter.
Das langfristige Ziel der Nasa ist es, einen reibungslosen Linienverkehr mit Überschallgeschwindigkeit zu ermöglichen, ohne dass Passagiere und Bewohner am Boden den lauten Knall hören müssen. Außerdem soll sich der Kerosinverbrauch des Flugzeugs in Grenzen halten – das war ein großer Kritikpunkt bei der Concorde.
Bis zum Einsatz im Linienflug dürfte für dieses Konzept noch einige Zeit vergehen. Zunächst muss die Nasa zeigen, dass der knallfreie Flug tatsächlich funktioniert. Dann muss dieses Konzept erfolgreich auf eine große Maschine übertragen werden, die eine wirtschaftliche Menge an Passagieren transportieren kann. Die Nasa und Lockheed Martin haben sich daher zeitlich noch nicht auf einen Abschluss des Projekts festgelegt. Breit angelegte Testflüge sollen allerdings im Jahr 2023 starten.