Merkels härtester Herbst
Hintergrund In der Union liegen die Nerven blank. Kommt es nach den drohenden Wahldebakeln in Hessen und Bayern zum offenen Machtkampf? Die Erben der Kanzlerin laufen sich bereits warm
Kiel Angela Merkel kann erleichtert sein. Großen Applaus bekommt die Kanzlerin beim Deutschlandtag der Jungen Union zwar nicht, doch die befürchteten Buhrufe bleiben aus. Nur einige JU-Delegierte aus Bayern verweigern ihr am Ende demonstrativ den üblichen stehenden Beifall. Auf der Kieler Bühne bekommt die Kanzlerin einen gelben Regenmantel und warme Socken überreicht. Merkel wertet den Friesennerz als Zeichen, dass sie der konservative Nachwuchs nicht im Regen stehen lässt. Doch die Zeiten für die Kanzlerin sind stürmisch wie selten. Von überall her prasseln Attacken und Kritik auf sie ein.
So steht der lauwarme Empfang für die CDU-Chefin bei der Jungen Union in einem auffälligen Kontrast zur Begeisterung, die andere auslösten. Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer feiern die gut 300 Delegierten des Unions-Nachwuchses schon bei einer JU-Party am Vorabend mit lautstarken „Annegreat, Annegreat“-Sprechchören. Kramp-Karrenbauer kann sich vor Selfie-Bitten kaum retten. Auf dem Kongress hält sie eine ziemlich konservative Rede, die beim Nach- wuchs gut ankommt. Auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn erhält viel Beifall, der sich als MerkelNachfolger in Position bringt. Ebenso Ralph Brinkhaus, der neue Unionsfraktionschef, der sich in einer Kampfkandidatur gegen Volker Kauder durchsetzte. Seitdem muss die Kanzlerin ausgerechnet auf ihren treuen Steigbügelhalter verzichten, der ihr mehr als zwölf Jahre lang die Fraktion auf Linie brachte und Kritiker einfing.
Eine weitere Personalie könnte in dieser Woche eine neue Schlappe für Europapolitik. Es ist nicht ausgeschlossen, dass es zu einer Kampfkandidatur kommt. Sollte sich Gutting durchsetzen, wäre dies eine weitere Schwächung Merkels.
In der Schwesterpartei CSU steht Merkel schon lange in der Kritik. In München wird neben CSU-Chef Horst Seehofer auch Merkel bereits als Sündenbock für eine Wahlniederlage in Stellung gebracht. Die Hessen-Wahl zwei Wochen später wird für Merkel noch gefährlicher. Auch der CDU unter Ministerpräsident Volker Bouffier drohen empfindliche Verluste. Eine Niederlage Bouffiers, zuletzt meist voll auf Merkel-Linie, wäre für die Kanzlerin direkt ein schwerer Schlag.
Sollten sich die Dinge in den Wochen danach weiter zuspitzen, könnte Merkel endgültig ins Wanken kommen. Beim Parteitag Anfang Dezember in Hamburg muss sie sich der Wiederwahl als CDUVorsitzende stellen. Zuletzt im Interview mit unserer Zeitung hat sie keinen Zweifel daran aufkommen lassen, dass für sie die Ämter Parteichefin und Kanzlerin untrennbar miteinander verbunden sind. Eine Abwahl in Hamburg würde das Ende ihrer Kanzlerschaft und ein politisches Chaos bedeuten, das auch ihre größten Gegner im Moment nicht riskieren wollen.
So muss Merkel nicht allzu nervös sein, dass sie inzwischen einen dritten Gegenkandidaten bekommen hat. Neben einem Jurastudenten aus Berlin und einem hessischen Unternehmer will nun auch der Bonner Völkerrechtsprofessor Matthias Herdegen Merkel an der Parteispitze ablösen. Echte Chancen, die Kanzlerin zu beerben, wird in der CDU im Moment nur zwei Namen gegeben. Merkel selbst wünscht sich Generalsekretärin Kramp-Karrenbauer als Nachfolgerin, aber nicht jetzt. Ob Jens Spahn seine Stunde bereits beim Parteitag in Hamburg gekommen sieht, ist sehr fraglich. Derzeit wäre die Unterstützung für eine offene Revolution zu gering.
Doch selbst wenn die Union nach der Bayern- und Hessen-Wahl nicht ins Chaos stürzt: Unklar ist, wie sich die SPD verhält. Bundestagspräsident und CDU-Grande Wolfgang Schäuble hat vorgebaut: Die deutsche Demokratie sei gefestigt genug, auch einen Austritt der SPD aus der Großen Koalition und eine sich anschließende Minderheitsregierung zu verkraften: „Wenn die SPD irgendwann nicht mehr kann, geht davon die Welt nicht unter.“