Munition für die Kohle-Gegner
Klimaschutz Der Weltklimarat warnt, dass die Folgen der Erderwärmung drastischer sind als bislang angenommen. Erhöht der Bericht den Druck auf Deutschland, schneller als geplant aus der klimaschädlichen Braunkohle auszusteigen?
Berlin Es ist das Ende einer Ära. Jahrhundertelang wurde im Ruhrgebiet Steinkohle abgebaut, ohne den heimischen Energieträger wäre Deutschland im 19. Jahrhundert nicht zur führenden Industriemacht aufgestiegen. Doch Ende des Jahres ist Schicht im Schacht. Die beiden letzten Zechen stellen die Kohleförderung untertage ein. Mit Klimaschutz hat das allerdings nichts zu tun, vielmehr laufen in diesem Jahr die staatlichen Subventionen für die heimische Steinkohle aus. In den großen Kohlekraftwerken werden auch in Zukunft die deutlich billigere Importkohle sowie die Braunkohle aus den Tagebauen in NordrheinWestfalen, in der Lausitz und in Mitteldeutschland verfeuert, um Strom zu gewinnen.
Zwar ist durch den massiven Ausbau der erneuerbaren Energien, die mittlerweile für 33,1 Prozent des Stroms sorgen, der Anteil der Kohle am Strommix gesunken, doch noch immer werden 37,2 Prozent des Stroms aus Braun- und Steinkohle gewonnen. Aber wie lange noch?
In Deutschland ist die Debatte um die Zukunft der Kohle voll entbrannt, wie der Streit um die vor wenigen Tagen gerichtlich gestoppte Rodung des Hambacher Forsts belegt. Zudem beschäftigt sich seit kurzem eine von der Bundesregie- eingesetzte Kommission mit einem sozial verträglichen Kohleausstieg. Doch der Sonderbericht des UN-Weltklimarates, der am Montag im südkoreanischen Incheon veröffentlicht wurde, dürfte die Diskussionen weiter verschärfen, gibt er doch den Anhängern eines möglichst raschen Kohleausstiegs neue Munition.
Um den Anstieg der Erwärmung der Erde auf eineinhalb Grad im Vergleich zum Beginn des Industriezeitalters zu begrenzen, seien „schnelle, weitreichende und beispiellose Änderungen in allen gesellschaftlichen Bereichen“wie der Energieerzeugung, der Landnutzung, dem Städtebau, im Verkehrsund Bausektor sowie der industriellen Produktion nötig, schrieben die Forscher. So müssten bis zum Jahr 2030 die CO2-Emissionen im Vergleich zum Jahr 2010 um 45 Prozent sinken – und bis spätestens zum Jahr 2050 dürfte weltweit in der Summe kein Kohlendioxid mehr ausgestoßen werden.
Die Grünen und Umweltverbände fühlten sich nach Veröffentlichung des Berichts des Weltklimarats in ihrer Forderung nach einem raschen Kohleausstieg bestätigt. „Mit einem ,Wir schauen mal ein bisschen‘ und Selbstverpflichtungen der Industrie kommen wir nicht weiter“, sagt die Vorsitzende des Umweltausschusses des Bundestags, Karlsruher Grünen-Abgeordnete Sylvia Kotting-Uhl, unserer Zeitung. „Wir müssen radikale Maßnahmen in der Klimapolitik ergreifen. Der Kohleausstieg ist überfällig.“Aber auch in den Bereichen Verkehr und Landwirtschaft müsse es eine CO2-Reaktion geben. „Dazu sind auch ordnungspolitische Maßnahmen notwendig“, betont die Grüne.
Nach Ansicht der Umweltorganisation Greenpeace gebe es für ein reiches Industrieland wie Deutschrung
Ausgangspunkt Obwohl das Pariser Klimaschutzabkommen ein historischer Meilenstein ist, reicht es bisher bei weitem nicht. Selbst wenn die Staaten ihre Klimaschutz-Zusagen einhalten, steuert die Erde auf eine Erwärmung um etwa drei Grad zu. Es ist also notwendig, die Ziele nachzuschärfen. Es werden aber weiter riesige Kohlekraftwerke gebaut.
Kernaussagen des Berichts Sie lassen sich in vier Punkten zusammenfassen. Erstens: Es ist immer noch möglich, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu beschränken. Zweitens: Dafür muss die Weltgemeinschaft aber sehr schnell an einem Strang ziehen und den Ausstoß von Treibhausgasen drastisch nach unten fahren. Drit- land keine Entschuldigung, „seine CO2-Bilanz weiterhin mit alten, schmutzigen Kohlekraftwerken zu ruinieren“.
Die Klimaschutz-Beauftragte der CDU/CSU-Fraktion, Anja Weisgerber, räumt zwar ein, dass die Kohle zur Erreichung der nationalen Klimaziele „einen nennenswerten Beitrag“leisten müsse. Dennoch müsse die Politik „den Menschen in den betroffenen Gebieten neue Perspektiven aufzeigen“, sagt die CSU-Politikerin. Die von der Regierung eindie tens: Eine Erwärmung um 1,5 Grad hat bereits dramatische Folgen für das Wetter, den Meeresspiegel, die Artenvielfalt, die Ernten und die Wasserversorgung in vielen Regionen. Viertens: Bei zwei Grad oder mehr käme es noch sehr viel schlimmer.
Szenarien Die Begrenzung der Erwärmung auf 1,5 Grad könnte die Zahl der Menschen, „die klimabedingten Risiken ausgesetzt und anfällig für Armut sind, bis 2050 um mehrere hundert Millionen“verringern. Der Meeresspiegel wird bei 1,5 Grad bis zum Jahr 2100 um zehn Zentimeter weniger klettern als bei zwei Grad. Bis 90 Prozent der Korallenriffe würden bei 1,5 Grad verschwinden. Mit zwei Grad wären praktisch alle verloren. gesetzte Kommission werde „einen Plan zur schrittweisen Reduzierung der Kohleverstromung inklusive eines Abschlussdatums erarbeiten“. Dabei stehe für die Union im Vordergrund, den Strukturwandel zu gestalten und die betroffenen Regionen dabei zu unterstützen.
Deutschland alleine könne das Weltklima jedoch nicht retten, so Weisgerber. „Wir müssen mit gutem Beispiel vorangehen, wir brauchen aber auch die anderen Staaten der Welt.“
Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) und Forschungsministerin
So drastisch wären die Folgen der Erderwärmung
Konkrete Maßnahmen der Regierung gibt es nicht
Anja Karliczek (CDU) hoben in einer gemeinsamen Erklärung die Notwendigkeit eigener stärkerer Anstrengungen hervor. „Wir dürfen beim Klimaschutz keine Zeit mehr verlieren.“Deutschland müsse den „Abschied von Kohle, Öl und Gas hinbekommen“, jede vermiedene Tonne CO2 und jedes vermiedene Zehntelgrad Erderwärmung zähle, schrieben sie, ohne allerdings konkrete Maßnahmen zu nennen. „Gute Ideen aus der Forschung und ein entschlossenes Handeln von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft können die notwendigen Veränderungen voranbringen.“