Historischer Triumph
Die Partei schneidet noch besser ab als von den meisten Demoskopen vorhergesagt. Die frühere Öko-bewegung hat ihre Inhalte und ihr Personal erneuert. Sie hat das Gefühl vieler Menschen in Bayern getroffen und will nun mitregieren. Doch ob da die CSU mitsp
München Sekunden nach sechs gibt es einen großen Knall bei den Grünen. Die erste Prognose: 18,5 Prozent. Zeitgleich geht eine Konfettikanone los und spuckt metallicgrüne Konfetti-schnipsel in den Raum. Aus den Boxen dröhnt „Don’t Stop Me Now“von Queen, die Hymne der Selbstbewussten. Die Grünen-spitze aus Land und Bund hüpft vor Freude auf und ab. Jubelgeschrei. Die Euphorie kennt keine Grenzen: „Das ist ein Wahnsinnsland, ein Wahnsinnsergebnis und hier leben wahnsinnig tolle Menschen“, sprudelt es aus dem Spitzenkandidaten Ludwig Hartmann heraus. „Wir haben eine Zeitenwende in Bayern eingeleitet.“
Katharina Schulze atmet erst einmal tief durch. „Mein Herz hat gehüpft“, sagt sie auf die Frage, was sie denn nach Bekanntwerden der ersten Zahlen gefühlt und gedacht habe. Noch nie zuvor haben die Grünen bei einer Landtagswahl im Freistaat ein zweistelliges Ergebnis eingefahren – entsprechend gut ist die Stimmung nun. Ihren bisherigen Spitzenwert von 9,4 Prozent aus dem Herbst 2008 hat die Partei nach den ersten Hochrechnungen nahezu verdoppelt und ist damit die zweitstärkste Kraft in Bayern hinter der CSU geworden. Noch am Abend machen Wasserstandsmeldungen die Runde, nach denen die Grünen in den Städten über 100000 Einwohner sogar die stärkste Partei geworden sind. 32 Jahre nach dem ersten Einzug der Grünen ins Maximilianeum haben ihre Spitzenkandidaten Katharina Schulze und Ludwig Hartmann mit einem temperamentvollen Wahlkampf einen historischen Sieg errungen. Hartmann sagt: „Wir haben den Wahlkampf unseres Lebens geführt.“
Das Ergebnis der Grünen, findet die frühere Parteivorsitzende Claudia Roth, sei auch der „sensationellen Doppelspitze“in Bayern zu verdanken. In der Tat haben Schulze und Hartmann einen äußerst engagierten Wahlkampf geführt, der herausgestochen ist durch positive Botschaften. Die zentrale Aussage war „Mut geben statt Angst ma- chen“. Geht man vom Ergebnis aus, dann haben die bayerischen Grünen mit diesem Ton das Gefühl vieler Menschen im Freistaat getroffen. Nahezu jeder fünfte Wähler hat sich am Sonntag für das Modell eines modernen, weltoffenen Bayern ausgesprochen, wie es die Grünen so lautstark propagiert haben. „Unsere Wähler wollen eine Politik, die keinen Hass und keine Hetze versprüht“, sagt Katharina Schulze.
Schulze, ledig, keine Kinder, ist eindeutig der lautere Part der Doppelspitze: Auf Demonstrationen omnipräsent, in Reden und Debatten kämpferisch und engagiert – so sehr, dass nicht nur mancher Csuler gerne mal die Augen verdreht. Schulze war sicher die bestgelaunte aller Spitzenkandidaten. Das nervte viele, doch wie sich jetzt herausstellt, traf sie damit bei vielen einen Nerv. 2013 erst war die gebürtige Freiburgerin, die in Herrsching am Ammersee aufgewachsen ist, in den Landtag eingezogen, machte dort eine steile Karriere und stieg über den Innenausschuss 2017 zur Fraktionschefin auf. Nicht wenige sagen der 33-Jährigen eine große Karriere voraus. Schon munkelt man in München, Schulze wolle die erste grüne Oberbürgermeisterin werden.
Schulzes Kollege Ludwig Hartmann, ledig, ein Kind, stammt aus einer durch und durch grünen Familie aus Landsberg und zog 2008 erstmals in den Landtag ein. Dort hat sich der Kommunikationsdesigner einen Namen als Energieexperte gemacht. Er gilt als ehrgeizig und ebenfalls als ein Mann markiger Worte, der auch vor Streit nicht zurückschreckt. Wie Schulze gehört auch Hartmann zur neuen Generation der pragmatischen Grünen.
Die Grünen haben in Bayern und im Bund einen Lauf, im krassen Gegensatz zur SPD zum Beispiel. Die Grünen haben ihre Inhalte erneuert. Sie zielen jetzt über die Öko-kernklientel hinaus auf die Breite der Gesellschaft. Und sie haben ihr Spitzenpersonal erneuert. Beides funktioniert derzeit sehr gut.
Die neue Linie hat die Partei nun auch in Bayern auf die Erfolgsspur geführt. Vor fünf Jahren hatten die Grünen magere 8,6 Prozent erreicht und waren damit nur viertstärkste Kraft hinter der CSU, der SPD und den Freien Wählern geworden. Damals waren sie in den letzten Wochen vor der Wahl noch bei Werten
Münchens von bis zu 15 Prozent gehandelt worden, verloren im Endspurt aber kräftig an Boden. Noch im Konfettiregen sagt Anton Hofreiter, der Fraktionsvorsitzende im Bundestag: „Die Menschen haben sich für eine andere Politik entschieden. Für eine Politik, die ein weltoffenes Bayern will.“Der grüne Flitter in seinen langen Haaren scheint gar nicht mehr herausfallen zu wollen.
Die große Frage des Abends aber ist: Was tun mit diesem historischen Ergebnis, von dem Katharina Schulze sagt, schon das nackte Resultat der Grünen habe Bayern bereits verändert? „Wenn es ungefähr so kommt, haben die Menschen in Bayern Veränderung gewählt“, sagt Robert Habeck. Jetzt komme es darauf an, ob das bei den anderen Parteien auch angekommen sei. Aber will die CSU das überhaupt – mit den Grünen regieren? Markus Söder hat noch am Wahlabend gesagt, klare Priorität habe für ihn ein „bürgerliches Bündnis“. Wären die Differenzen zwischen Schwarzen und Grünen in der Sicherheits- und der Asylpolitik tatsächlich überbrückbar? Gibt es nicht in Ton und Stil zu viele Unterschiede? Kontakte zwischen Schwarz und Grün gibt es am Sonntagabend noch nicht, versichert Ludwig Hartmann. Er ist aber sicher: „Das ist ein klarer Auftrag, in Bayern zu gestalten.“
Katharina Schulze, die Spitzenfrau, hat auf die Koalitionsfragen am Wahlabend auch noch keine Antwort. Große Lust auf Opposition allerdings hat sie nicht mehr: „Ich bin nicht in die Politik gegangen, um in Schönheit am Straßenrand zu sterben.“Kollege Hartmann gibt sich betont gelassen. Er habe gehört, sagt
Die Parteispitze tanzt im Konfettiregen
Hartmann schaltet sein Handy erst einmal aus
er, Söder wolle mit allen potenziellen Partnern reden. „Aber ich schalte jetzt erst mal mein Handy aus und gehe feiern.“
Tatsächlich ist das Handy später aus. Hartmann hat keine Zeit zu telefonieren. Gemeinsam mit Robert Habeck übt er sich bei der Wahlparty in der Muffathalle im „Stagediving“: Beide stürzen sich wie Rockstars kopfüber von der Bühne und lassen sich von Anhängern auf Händen einige Meter durch den Saal tragen. Auch diese nicht ganz ungefährliche Übung gelingt.