Ratlosigkeit im Willy-Brandt-Haus
SPD Parteichefin Andrea Nahles macht vor allem CSU-Chef Seehofer für das Bayern-Debakel ihrer Sozialdemokraten verantwortlich. Manche Genossen fordern dessen Rücktritt. Doch was geschieht an der eigenen Parteispitze?
Berlin Das rote Lastenfahrrad wirkt am Morgen nach der bayerischen Landtagswahl wie ein Sinnbild für den fast unglaublichen Niedergang der SPD. Mit platten Reifen steht es in einem kleinen Lagerraum im Berliner Willy-Brandt-Haus, der Bundeszentrale der Partei, versteckt unter Pappkartons und Plakatständern. Auf der Bordwand prangt das bärtige Konterfei von Martin Schulz: „Zeit für Martin“. Es hat einmal als originelles Wahlkampfvehikel gedient, nun wirkt es wie ein Relikt aus längst vergangenen Zeiten. Zeiten, als Schulz mit 100 Prozent der Stimmen zum Parteivorsitzenden gewählt wurde, als viele ihm zutrauten, Kanzler zu werden.
Von der Begeisterung und der Hoffnungsfreude, die noch in der ersten Hälfte des vergangenen Jahres bei der ältesten Partei Deutschlands geherrscht haben, sind nicht einmal kleinste Reste geblieben. Parteichefin Andrea Nahles wirkt schmallippig und angegriffen, als sie am Montag die Niederlage ihrer SPD bei der Bayern-Wahl kommentiert. Sie dankt knapp der bayerischen Spitzenkandidatin Natascha Kohnen und ruft die Partei zur Geschlossenheit auf: „Als SPD stehen wir zusammen, auch nach so einer Niederlage.“Und sie räumt ein, dass die Bundespolitik mitverantwortlich sei für die Niederlage. „Das schlechte Bild der Bundesregierung hat auch dazu beigetragen, dass wir nicht durchgedrungen sind mit unseren Themen“, sagt sie.
Viele in der SPD machen vor allem das ungeliebte Bündnis mit der Union für den Absturz ihrer Partei verantwortlich. Nicht einmal die bescheidene Hoffnung, dass doch im Endergebnis die Zehn vor dem Komma stehen möge, erfüllte sich.
Nun ist Bayern für die SPD seit Jahrzehnten kein einfaches Pflaster. Doch bei der Landtagswahl in Hessen droht schon die nächste Niederlage. Dass SPD-Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümbel anstelle von CDU-Amtsinhaber Volker Bouffier Ministerpräsident wird, scheint ausgeschlossen. Am Ende könnte es für die SPD zum Juniorpartner in einer Großen Koalition reichen. Keine guten Aussichten, zumal die GroKo in Berlin für wachsende Teile der SPD ein rotes Tuch und Wurzel allen Übels ist. Parteilinke wie Hilde Matheis oder Juso-Chef Kevin Kühnert reden nach dem Bayern-Debakel umso lauter vom Ausstieg. Das Grummeln der GroKoSkeptiker wird lauter und lauter.
Nahles, erste Frau an der Spitze der Partei und als Hoffnungsträgerin gestartet, sieht im Moment keinen Grund, den Fortbestand des Bündnisses infrage zu stellen. Rote Linien gegenüber CDU und CSU zu ziehen, davon halte sie nichts. Und auch die Forderung nach einem Rücktritt von CSU-Chef und Bundesinnenminister Horst Seehofer will sie sich nicht zu eigen machen.
Für viele in der SPD ist Horst Seehofer durch seine unnachgiebige Haltung in der Flüchtlingspolitik aber der Hauptschuldige für das schlechte Bild, das die Große Koalition und damit auch die SPD abgibt. So sagt Leni Breymaier, badenwürttembergische SPD-Landesvorsitzende, unserer Zeitung: „Horst Seehofer muss jetzt endlich zurücktreten. Er macht die gute Regierungsarbeit mit seinem Lautsprechertum kaputt.“Von einer Personaldebatte in der eigenen Partei rät sie hingegen ab: „Es bringt uns nicht vorwärts, jedes Vierteljahr die Parteispitze auszuwechseln.“
Die Schonfrist für Andrea Nahles, so heißt es in der Partei, dauert bis zur Hessen-Wahl. Schneidet die SPD auch in knapp zwei Wochen schlecht ab, könnte es eng werden für die Vorsitzende. Nach Meinung vieler Genossen hat sie zuletzt zu oft ein schwaches Bild abgegeben – etwa in der Affäre Maaßen. Dass sie den Kompromiss mittrug, den Geheimdienstchef zunächst zu befördern, hat große Teile der Basis entsetzt.
Der Bundestagsvizepräsident und frühere SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann sagt unserer Redaktion: „Das miserable Erscheinungsbild der Großen Koalition hat dazu geführt, dass viele Menschen in Bayern den Volksparteien ihre Stimme nicht mehr gegeben haben.“Der Richtungsstreit innerhalb der Union werde als Schwäche der Regierung insgesamt wahrgenommen. „Für mich ist Horst Seehofer als Krawallmacher im Innenministerium eine absolute Fehlbesetzung“, fordert auch Oppermann indirekt dessen Rücktritt. Die gute Arbeit der SPD-Minister werde in der Öffentlichkeit kaum beachtet. Zudem hätten die AfD und die CSU in der Flüchtlingsfrage „extrem polarisiert und damit alle anderen Themen verdrängt“. Profitiert hätten davon die Grünen, die sich als fortschrittliche bürgerliche Partei präsentiert hätten. Oppermann glaubt aber auch, „dass die SPD verloren gegangenes Vertrauen nur über gute inhaltliche Arbeit und klare Haltung zurückgewinnen kann“. Der Bundestagsvize: „Die SPD muss die Partei für Arbeitnehmer und ihre Familien sein. Hohe Löhne, gerechte Verteilung, soziale Sicherheit und gute Bildung – das müssen Kernthemen der SPD sein.“
Die Hessen-Wahl wird zur Bewährungsprobe