Werteverfall im Straßenverkehr
Spiegel, Blinker, Schulterblick – und dann erst abbiegen. Das hat mir mein Fahrlehrer bis zum Gehtnicht-mehr eingetrichtert. Doch was ist heute – nur zwei Jahre später – davon übrig? Nicht viel, zugegebenermaßen. Schritt eins und drei werden eigentlich immer übersprungen, der Blinker wird noch gesetzt – zumindest dann, wenn ich nicht zu sehr in Gedanken versunken bin.
Was für eine idealistische Fahrschülerin ich war! Damals habe ich noch vom Beifahrersitz aus einen vorwurfsvollen Blick auf den Tacho geworfen, wenn mein Vater mit 60 durch die Ortschaft gefahren ist. Das würde mir nie passieren, dachte ich damals, mir, die ich es doch viel besser weiß. Regeln sind schließlich da, um eingehalten zu werden.
Und heute? Heute ist der verkehrstechnische Werte- und Sittenverfall weit fortgeschritten. Ich bremse am Ortseingangsschild nicht, das Auto rollt ja noch aus und außerdem, was sind schon zehn Stundenkilometer mehr? Ich werfe kurz mal einen Blick aufs Handy, wenn ich ein passendes Lied finden will, das ich bei meiner autointernen Karaoke-Party mitkrakeele. Geht schon, passt schon, sieht eh keiner, andere machen’s ja auch so.
Ist dieses Verhalten unaufmerksam, fahrlässig und gefährlich für mich und meine Mitmenschen? Natürlich. Mache ich es trotzdem? Leider ja. Das Fahrsicherheitstraining, das ich damals noch kostenlos hätte in Anspruch nehmen können, habe ich auch sausen lassen. Keine Zeit, keine Lust und überhaupt, wird schon nichts passieren. Und das stimmt auch: Bisher ist alles gut gegangen, bisher sind mein Auto und ich immer in ganzen Teilen zu Hause angekommen. Doch ich weiß, dass dieses „bisher“nur eine äußerst vage Verheißung von Sicherheit ist – und ich weiß, dass Rücksicht, Vorsicht und Erfahrung im Ernstfall Leben retten.