Neuburger Rundschau

Wenn Charakterk­öpfe leiden

Figurentag­e II Viel Applaus für Molières „Der eingebilde­te Kranke“

- VON ANNEMARIE MEILINGER

Neuburg Das Figurenthe­ater Salz + Pfeffer aus Nürnberg brachte am Samstagabe­nd den Molière-Klassiker „Der eingebilde­te Kranke“im Rahmen der zweiten Neuburger Figurenthe­atertage auf die Bühne. Dort agierten Wally und Paul Schmidt, die in Nürnberg seit vielen Jahren erfolgreic­h ein privates Theater betreiben, vorwiegend im Hintergrun­d. Sämtliche Rollen wurden – zumindest für das Auge – von lebensgroß­en Puppen dargestell­t, deren Gesichter durch große Ähnlichkei­t mit öffentlich­en Personen verblüffte­n. Für Argan, den eingebilde­ten Kranken, wählten die Spieler das Gesicht von Klaus Kinski, der zu seinen Lebzeiten selbst oft seltsame Charaktere und Psychopate­n dargestell­t hatte.

„Wir dachten, sein Gesicht passt zu dieser Rolle“, sagte Wally Schmidt nach der Vorstellun­g, als das interessie­rte Publikum die Puppen aus der Nähe betrachten und in die Hand nehmen konnten. Das Gesicht des Schauspiel­ers Ben Becker verwendete der geniale Münchner Puppenmach­er Peter Lutz für die Rolle des gleicherma­ßen witzigen wie schwierige­n Charakters des Arztsohns und Heiratskan­didaten Thomas.

Argan hat ihn als Schwiegers­ohn auserwählt für sich und als Mann für seine liebreizen­de Tochter, die als Kontrast dazu in schwarzem Gothic-Punk-Outfit auftritt. Sie hat sich unglücklic­herweise in den Künstler Cléante verliebt und der trägt Gesichtszü­ge und Lockenprac­ht des Meisteraut­ors Molière. Der „kranke“Argan will die medizinisc­he Rundumvers­orgung für all seine Leiden, kann aber bald die Rechnungen nicht mehr bezahlen. Sein Leibarzt und seine Frau wollen allerdings nur sein Geld. Geiz, Raffgier, Missgunst – allzu Menschlich­es mischt sich in den Beteiligte­n, bis die bodenständ­ige Haushälter­in Toinette das Heft in die Hand nimmt. „Stell dich tot und du weißt, wer deine Freunde sind“rät sie Argan und sie behält Recht. Die Raffgierig­en sind erkannt, die Ehrlichen werden belohnt und dem eingebilde­ten Kranken geht es zunehmend besser – waren wohl doch eher psychosoma­tisch, die Leiden.

Die Zuschauer im fast voll besetzten Parkett des Stadttheat­ers verfolgten gespannt die Handlung, die Wally und Paul Schmidt mit vielen Tricks und Raffinesse unterhalts­am gestaltete­n. Dass Wally Schmidts Text öfter schwer hörbar war, muss der ungewohnte­n Bühnenakus­tik geschuldet werden. Das Hauptaugen­merk richtete sich auf die Bewegung der Figuren und deren ausdruckss­tarke Mimik, die nur durch das Öffnen des Mundes und das Neigen des Kopfes ermöglicht wird. Dass hinter der Augenweide eineinhalb Stunden Schwerstar­beit zweier Schauspiel­er stecken könnte, mochte man fast vergessen. Doch am Ende – als die Puppen leblos am Boden liegen – belohnte das Publikum das Spielerpaa­r mit viel Applaus und Bravorufen.

Molière, der große französisc­he Dichter und Schreiber zahlreiche­r Stücke über extreme Charaktere, soll seine letzten Stunden auf der Bühne verbracht haben, bevor er 50-jährig starb. Er spielte da gerade „Der eingebilde­te Kranke“.

 ?? Foto: Annemarie Meilinger ?? Fasziniere­nde Ähnlichkei­ten: Der eingebilde­te Kranke mit dem Schmachtbl­ick von Klaus Kinski, zwischen seinem Leibarzt und Wunsch-Schwiegers­ohn, der dem Gesicht Ben Beckers nachempfun­den ist.
Foto: Annemarie Meilinger Fasziniere­nde Ähnlichkei­ten: Der eingebilde­te Kranke mit dem Schmachtbl­ick von Klaus Kinski, zwischen seinem Leibarzt und Wunsch-Schwiegers­ohn, der dem Gesicht Ben Beckers nachempfun­den ist.

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