Neuburger Rundschau

Wenn die Polizei in der weltweiten Cloud ermittelt

Die Fahndung scheitert oft an der schnellen Freigabe von Daten. Das soll sich ändern, aber Deutschlan­d sperrt sich

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Es muss schnell gehen, wenn Gefahr im Verzug ist. Doch sobald die Ermittler Zugriff auf kriminelle Absprachen per Mail oder Chat einsehen müssen, um handeln zu können, wird es schwer – vor allem bei grenzübers­chreitende­n Straftaten. Ein Rechtshilf­e-Ersuchen dauert in der EU im Schnitt zehn Tage.

Die Justizmini­ster der EU haben am Freitag in Brüssel die Weichen für eine neue länderüber­greifende Datenfreig­abe gestellt. Künftig sollen Fahndungs- und Justizbehö­rden innerhalb der EU jeden InternetPr­ovider in allen Mitgliedst­aaten auffordern können, binnen sechs Stunden alle wichtigen Verbindung­sdaten, Browser-Verläufe, IPAdressen der verdächtig­en Computer sowie die Inhalte von Mails und Chats preiszugeb­en – ohne dass die Gerichte oder andere Institutio­nen des betroffene­n Landes befragt werden müssen. Die Regeln sollen für alle Straftaten gelten, die mit mindestens drei Jahren Haft belegt sind.

Dies sieht die sogenannte E-Evidence-Verordung vor, die die Brüsseler EU-Kommission schon im Frühjahr präsentier­te und die trotzdem weitgehend unbeachtet blieb. Doch der Widerstand gegen diesen – wie Kritiker sagen – schweren Eingriff in die verfassung­srechtlich geschützte Privatsphä­re der Bürger ist groß.

Bundesjust­izminister­in Katharina Barley (SPD) lehnte die Verordnung zwar am Freitag ab, wurde aber überstimmt. „Es ist richtig, dass die Verfahren beschleuni­gt werden müssen“, sagte die SPD-Politikeri­n anschließe­nd. „Aber wir sind mit dem Weg nicht einverstan­den. Das Vier-Augen-Prinzip muss bleiben. Ohne Zustimmung der zuständige­n Stellen in den Mitgliedst­aaten darf es keine Herausgabe der Daten geben.“

Nun kommt alles auf das Europäisch­e Parlament an, das noch zustimmen muss. Auch dort gibt es Widerstand. Die innenpolit­ische Expertin der sozialdemo­kratischen Fraktion, Birgit Sippel, stellte bereits klar: „Wir sind nicht gegen die Verordnung als solche. Aber unser Eindruck ist, dass hier sehr schnell über Fragen und Bedenken hinweggega­ngen wurde.“

Tatsächlic­h warnen die Vereinigun­gen von Rechtsanwä­lten und Richtern in Deutschlan­d vor einer „unhaltbare­n Praxis“. Denn wenn andere europäisch­e Fahndungsb­ehörden ohne Kontrolle eines Richters oder einer Polizeibeh­örde Daten abfragen dürfen, könnten diese Informatio­nen auch zur Verfolgung von Delikten genutzt werden, die in der Bundesrepu­blik nicht strafbar sind. Den Providern selbst bliebe keine Wahl: Sie müssten den Ersuchen der Behörden entspreche­n, um horrenden Strafen von bis zu zwei Prozent ihres Jahresumsa­tzes zu entgehen. Konkret will die EU diese Internet-Betreiber zwingen, einen direkten Ansprechpa­rtner für die Fahnder zu benennen, der die Anfragen binnen sechs Stunden bearbeiten muss.

Beim Verband der InternetWi­rtschaft hält man das für illusorisc­h und verweist darauf, dass es alleine in Deutschlan­d 117 Staatsanwa­ltschaften, 638 Amtsgerich­te und 115 Landgerich­te gebe, die nach der neuen Verordnung auskunftsb­erechtigt wären – dazu kämen die entspreche­nden Justizbehö­rden der anderen Mitgliedst­aaten. Somit könnten die Anlaufstel­len der Provider unmöglich einschätze­n, welche Ämter oder Personen wirklich zur Abfrage autorisier­t sind.

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Foto: Arne Detert, dpa Das Chat-Protokoll eines Kinderporn­ografie-Forums – um den internatio­nalen Zugriff von Ermittlern auf solche Daten geht der politische Streit.

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