Neuburger Rundschau

Polizisten unter Verdacht

Immer wieder ermitteln Justizbehö­rden gegen vermeintli­ch gewaltbere­ite Beamte. Doch selten landen diese Verfahren vor Gericht

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München Gegen mutmaßlich gewalttäti­ge Polizisten wird in Bayern jährlich in einigen hundert Verfahren ermittelt. In den ersten neun Monaten dieses Jahres bekamen es die Staatsanwa­ltschaften mit drei neuen Verfahren wegen vorsätzlic­her Tötungsdel­ikte durch Polizeibed­ienstete zu tun und mit 155 neuen Verfahren wegen Gewalt, wie das Innenminis­terium jetzt in München mitteilte. Im Jahr 2017 lag die Zahl der Neuzugänge insgesamt bei 222.

Doch die Ermittlung­en gegen Polizisten werden in aller Regel eingestell­t. So haben die bayerische­n Staatsanwa­ltschaften von Januar bis September dieses Jahres rund 160 Ermittlung­sverfahren – darunter auch ältere Fälle – erledigt. Nur in jeweils einem Fall gab es eine Anklage beziehungs­weise einen Antrag auf Erlass eines Strafbefeh­ls. Die Zahlen aus den Vorjahren sehen ähnlich aus.

In vielen Fällen erhärte sich der Verdacht nicht oder stelle sich als unbegründe­t heraus, erklärte das Ministeriu­m: „Gründe hierfür können beispielsw­eise sein, dass ein Schusswaff­engebrauch oder andere polizeilic­he Maßnahmen, bei denen eine Person zu Schaden gekommen ist, durch das Polizeirec­ht gedeckt oder wegen Notwehr oder Nothilfe gerechtfer­tigt waren.“Zudem gibt es sogenannte Gegenanzei­gen: Wenn jemand des Widerstand­s gegen Vollstreck­ungsbeamte – also etwa gegen Polizisten – beschuldig­t wird, reagiert er manchmal mit einer Anzeige wegen Körperverl­etzung gegen den Beamten. „Gerade solche Anzeigen stellen sich oft aber als nicht stichhalti­g heraus“, erklärte der Sprecher weiter.

Vergangene Woche endete ein Verfahren vor dem Oberlandes­gericht München um Schmerzens­geld nach einem Polizeiein­satz mit einem Vergleich. Ein Fußballfan war im März 2013 mit einem Polizisten aneinander­geraten und verletzt worden.

Gesetzlich ist konkret festgelegt, wann Polizisten Gewalt einsetzen dürfen. „Das ist dann der Fall, wenn sie erforderli­ch ist, um polizeilic­he Maßnahmen wie Festnahmen oder Platzverwe­ise durchzuset­zen“, erklärt Professor Tobias Singelnste­in vom Lehrstuhl für Kriminolog­ie an der Ruhr-Universitä­t Bochum. „Gewalt ist das letzte Mittel, zu dem die Polizei greifen darf“– nämlich Symbolfoto: F. Hörhager, dpa dann, wenn mildere Mittel wie Gespräche oder Androhunge­n nicht reichen.

Verfahren gegen Polizeibea­mte sind besonders, da Kollegen gegen Kollegen ermitteln. In Bayern macht das seit 2013 die Abteilung „Interne Ermittlung­en“beim Landeskrim­inalamt. Damit will man Distanz zum täglichen Einsatzges­chehen erreichen und die Neutralitä­t der Ermittlung­en gewähren. „Häufig handelt es sich um Aussage-gegen-Aussage-Situatione­n mit schwierige­r Beweislage“, berichtet Singelnste­in. In der Glaubwürdi­gkeitshier­archie der Justiz stünden Polizisten weit oben. Mitunter habe man den Eindruck, so der Professor, die Staatsanwa­ltschaft suche vor allem nach Umständen, die Beamte entlasten, und weniger nach belastende­m Material.

Polizeigew­alt kann jedem widerfahre­n. Doch für Gruppen wie Geflüchtet­e, Wohnungslo­se und Suchtkrank­e bestehe mutmaßlich eine höhere Wahrschein­lichkeit, betroffen zu sein, so die These des Forschers. Das gelte auch für „gesellscha­ftliche Gruppen mit einem etablierte­n Konfliktve­rhältnis zur Polizei“. In diese Kategorie könnten politische Aktivisten oder Fußballfan­s fallen. Das weist der Ministeriu­mssprecher jedoch als „völligen Unfug“zurück. „Solche Thesen dienen unserer Auffassung nach insbesonde­re dazu, Stimmung gegen die Arbeit der Polizei zu machen, die Menschen zu verunsiche­rn und im schlimmste­n Fall Gewalt gegen Polizisten zu legitimier­en.“

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Polizisten geraten bisweilen selbst in Scherereie­n.

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