Neuburger Rundschau

Und Lübke lässt grüßen

Stadttheat­er Ingolstadt liefert Soundtrack der 1968er Jahre

- VON MICHAEL HEBERLING

Ingolstadt So viel erst mal zum Thema „Jahr der Revolution“: 1968 belegte in Deutschlan­d Heintje die Plätze 1, 2 und 4 der Jahreshitp­arade und vor den Beatles kam noch Peter Alexander. Stücke aller drei Interprete­n und eine ganze Menge mehr ebenso zeitgenöss­ischer Musik bekommt man in der „musikalisc­hen Gemengelag­e“„Achtundsec­hzig“zu hören, die jetzt im Kleinen Haus des Ingolstädt­er Stadttheat­ers umjubelte Premiere hatte.

Regisseur und musikalisc­her Leiter Tobias Hofmann hat wieder einen Liederaben­d auf die Bühne gebracht, der ohne falschen Respekt und mit sehr viel Spiellaune die historisch­en Fakten und Vorurteile, die Lügen und Legenden einer bundesrepu­blikanisch­en Epoche in nicht so ferner Vergangenh­eit beleuchtet.

Das kleine Haus ist der ideale Spielort für das etwas angeranzte, überwiegen­d beige Ambiente der hier inszeniert­en 60er Jahre, wo selbst die Flowerpowe­r eher gedeckter Natur ist. Links die improvisie­rte Garderobe der Herren Degen und Hardt, die zwei verschmitz­ten Conferenci­ers, die mit Liedern – natürlich von Franz-Josef Degenhardt – den Abend strukturie­ren. Rechts die Schrankwan­d des Schreckens, Rudimente eines seinerzeit­igen, bürgerlich­en Wohnzimmer­s, bei dessen Anblick – wie so oft in diesen 80 Minuten – beim zeitzeugen­durchsetzt­en Publikum mehrheitli­ch ungute Erinnerung­en aufgekomme­n sein dürften. Ein Vorhang quer über die Bühne gibt gelegentli­ch den Blick auf den Bauwagen von Hofmanns „Gammlerban­d“(Dieter Holesch, Josef Reßle, Ludwig Leininger und der Chef höchstselb­st) frei. Hier ist der Treffpunkt für Partys, Sitins, Demos. Wir erleben den durchschni­ttlichen Mittelstan­dshaushalt, versammelt bei Brotzeit, Würfelspie­l und Hausmusik, im Fernsehapp­arat rauscht der Wildbach, klärt Oswald Kolle auf und redet Heinrich Lübke. Auf der anderen Seite zelebriert die Jugend ihre Revolution, laut, bekifft und nackt. Andrea Frohn, Jan Gebauer, Renate Knollmann, Ralf Lichtenber­g, Richard Putzinger und Peter Reisser geben dem Affen Zucker und sind auch musikalisc­h – ob nun Stones oder Insterburg und Co. – keinen Moment in Verlegenhe­it zu bringen. Dass ein Stadttheat­er ohne Musikspart­e mit solch musikalisc­her Potenz gesegnet ist und diese auch immer wieder auszuspiel­en weiß, kann man nicht oft genug sagen – und loben. In vier Abteilunge­n – Rock’ n’ Roll, Love, Drogen, Politik – skizziert Hofmann die gesellscha­ftlichen Umbrüche der 1960er Jahre, ein ebenso lächerlich­es wie lebensgefä­hrliches Drama zwischen Restaurati­on und Revolte. Den klassische­n fünften Akt gibt es nicht, die Katastroph­e bleibt aus, vorerst. Stattdesse­n beschenkt das Ensemble das restlos begeistert­e Publikum mit einer Zugabe, John Lennons „Imagine“: „Stell dir vor, all die Menschen teilten sich die Welt ...“ O Termine Aufführung­en sind am 14., 15., 19., 21., 26., 29. und 30. Dezember, jeweils um 20 Uhr. Weitere Vorstellun­gen gibt es im neuen Jahr.

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Foto: Jochen Klenk „Achtundsec­hzig“läuft derzeit im Stadttheat­er Ingolstadt.

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