Und Lübke lässt grüßen
Stadttheater Ingolstadt liefert Soundtrack der 1968er Jahre
Ingolstadt So viel erst mal zum Thema „Jahr der Revolution“: 1968 belegte in Deutschland Heintje die Plätze 1, 2 und 4 der Jahreshitparade und vor den Beatles kam noch Peter Alexander. Stücke aller drei Interpreten und eine ganze Menge mehr ebenso zeitgenössischer Musik bekommt man in der „musikalischen Gemengelage“„Achtundsechzig“zu hören, die jetzt im Kleinen Haus des Ingolstädter Stadttheaters umjubelte Premiere hatte.
Regisseur und musikalischer Leiter Tobias Hofmann hat wieder einen Liederabend auf die Bühne gebracht, der ohne falschen Respekt und mit sehr viel Spiellaune die historischen Fakten und Vorurteile, die Lügen und Legenden einer bundesrepublikanischen Epoche in nicht so ferner Vergangenheit beleuchtet.
Das kleine Haus ist der ideale Spielort für das etwas angeranzte, überwiegend beige Ambiente der hier inszenierten 60er Jahre, wo selbst die Flowerpower eher gedeckter Natur ist. Links die improvisierte Garderobe der Herren Degen und Hardt, die zwei verschmitzten Conferenciers, die mit Liedern – natürlich von Franz-Josef Degenhardt – den Abend strukturieren. Rechts die Schrankwand des Schreckens, Rudimente eines seinerzeitigen, bürgerlichen Wohnzimmers, bei dessen Anblick – wie so oft in diesen 80 Minuten – beim zeitzeugendurchsetzten Publikum mehrheitlich ungute Erinnerungen aufgekommen sein dürften. Ein Vorhang quer über die Bühne gibt gelegentlich den Blick auf den Bauwagen von Hofmanns „Gammlerband“(Dieter Holesch, Josef Reßle, Ludwig Leininger und der Chef höchstselbst) frei. Hier ist der Treffpunkt für Partys, Sitins, Demos. Wir erleben den durchschnittlichen Mittelstandshaushalt, versammelt bei Brotzeit, Würfelspiel und Hausmusik, im Fernsehapparat rauscht der Wildbach, klärt Oswald Kolle auf und redet Heinrich Lübke. Auf der anderen Seite zelebriert die Jugend ihre Revolution, laut, bekifft und nackt. Andrea Frohn, Jan Gebauer, Renate Knollmann, Ralf Lichtenberg, Richard Putzinger und Peter Reisser geben dem Affen Zucker und sind auch musikalisch – ob nun Stones oder Insterburg und Co. – keinen Moment in Verlegenheit zu bringen. Dass ein Stadttheater ohne Musiksparte mit solch musikalischer Potenz gesegnet ist und diese auch immer wieder auszuspielen weiß, kann man nicht oft genug sagen – und loben. In vier Abteilungen – Rock’ n’ Roll, Love, Drogen, Politik – skizziert Hofmann die gesellschaftlichen Umbrüche der 1960er Jahre, ein ebenso lächerliches wie lebensgefährliches Drama zwischen Restauration und Revolte. Den klassischen fünften Akt gibt es nicht, die Katastrophe bleibt aus, vorerst. Stattdessen beschenkt das Ensemble das restlos begeisterte Publikum mit einer Zugabe, John Lennons „Imagine“: „Stell dir vor, all die Menschen teilten sich die Welt ...“ O Termine Aufführungen sind am 14., 15., 19., 21., 26., 29. und 30. Dezember, jeweils um 20 Uhr. Weitere Vorstellungen gibt es im neuen Jahr.