„Irgendwann wird das Eis zu dünn“
Neumayer III ist die wichtigste deutsche Forschungsstation in der Antarktis. An diesem Mittwoch wird sie zehn Jahre alt. Der Wertinger Markus Eser hat über ein Jahr dort gelebt
Herr Eser, vor zehn Jahren wurde die Forschungsstation Neumayer III eingeweiht. Sie haben 15 Monate dort gelebt. Werden Sie die Zeit je vergessen? Markus Eser: Ich hatte dort Erlebnisse, die vergesse ich mein ganzes Leben lang nicht mehr: Kälte, tagelange Stürme, die friedliche PinguinKolonie in der Nähe der Station und die sauberste Atemluft der Welt. Deswegen werde ich mich der Station immer verbunden fühlen.
Sie haben bis Februar 2016 dort als Techniker gearbeitet. Was waren Ihre wichtigsten Aufgaben?
Eser: Ich musste die elektrischen Stationssysteme warten und instand halten: vom Blockheizkraftwerk und der Brandmeldeanlage über die Heizungs- und Lüftungssysteme bis hin zum Aufzug. Für die Reparatur der Schneemobile und Pistenraupen war ich auch zuständig.
Eigentlich arbeiten Sie als Informatiker in Augsburg, haben sich in Eigeninitiative beim Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung beworben, das die Station betreibt. Haben Sie lange überlegt?
Eser: Wenn man so ein Projekt anpackt, muss schon eine große Abenteuerlust vorhanden sein. Wenn man dann noch das Okay der Familie und des Arbeitgebers bekommt, sich zwei Jahre ausklinken zu dürfen, muss man die Gelegenheit am Schopf packen. Ich dachte mir: Vor mir haben das Leute geschafft, dann werde ich es auch schaffen. Und ich bereue nichts. Ich würde es sofort noch einmal machen.
Die Neumayer III besteht aus hundert Containern samt Tiefgarage. Muss man sich das vorstellen wie eine Kleinstadt unter einer Schutzhülle? Eser: Genau, das ist eine etwa 90 Meter lange Stahlkonstruktion, die mit einer Hülle aus dicken Dämmplatten verkleidet ist und zweieinhalb Stockwerke hat. In der großen Garage im Eis sind die Pistenraupen und andere Infrastruktur untergebracht. In der Hülle sind innen ausgebaute Container aufgestapelt, die Lebens- und Arbeitsräume. Klimatisiert, belüftet und mit vielen Fenstern, durch die man in die unendliche Weite der Antarktis blickt.
Neumayer III ist die wichtigste Basis für die deutsche Antarktisforschung. Dort arbeiten bis zu 50 Menschen. Was wurde zu Ihrer Zeit erforscht? Eser: Zu meiner Zeit haben Wissenschaftler neue Eiskernbohrtechniken erprobt. Ein zweiter Trupp hat in der extremen Kälte die Zusam- mensetzung der Luft mit einer neuen Lasermesstechnik erforscht. Am interessantesten fand ich ein Team des AWI-Tauchzentrums, das Tauchgänge unter extremsten Bedingungen durchführte. Sie erforschten die Plättcheneisbildung.
Was ist das, Plättcheneis?
Eser: In diesen kleinen Platten unter der meterdicken Eisschicht der Antarktis gedeiht unter anderem Krill, die wichtigste Nahrung der Wale. Ich habe die Taucher beim Zugang zum Meer unterstützt und den Pistenbully mit Kran gefahren, mit dessen Hilfe eine Art Treppe ins Eis gesägt wurde. Darüber hinaus – und das ist der Hauptzweck der Station – werden Langzeitmessungen in Geophysik, Meteorologie und Luftchemie durchgeführt.
2010 wurde an der Station ein Temperaturrekord von minus 50,2 Grad gemessen. Kann diese unwirtliche Umgebung lebensgefährlich sein?
Eser: Nicht per se. Aber man kann deutlich schneller in eine lebensgefährliche Lage geraten als in unseren Breiten. In einer dreimonatigen Ausbildungszeit wird man darauf vorbereitet, mit welchen Naturgewalten man es zu tun hat. Sicherheit ist oberstes Gebot – egal, wie lange man dadurch für seine Arbeit braucht. Wenn man dort unten im langen Winter eines hat, dann Zeit.
Die Station wächst mit der Schneedecke und muss regelmäßig angehoben werden. Waren Sie daran beteiligt? Eser: Ja, natürlich. Die Station steht auf Eis und ist ständig in Bewegung. Sie ist mit Stahlschürzen in die Eisgrube verspannt und die müssen im Winter mindestens alle zehn Tage gelöst werden. So wird die Station hydraulisch ausgeglichen, damit es nicht zu Verspannungen und Schäden kommt. Das geschieht rechnergestützt, aber man muss den Prozess beaufsichtigen.
Neumayer III wird am heutigen Mittwoch zehn Jahre alt. Wie lange wird es die Station noch geben?
Eser: Sie wurde theoretisch für 30 Jahre konstruiert. Ob die Station dieses Alter erreicht, ist nicht sicher. Erstens ist die Technik bei unserem derzeitigen Fortschritt vielleicht schon früher veraltet. Zweitens driftet die Station jedes Jahr 150 Meter näher an den Rand der Eisfläche Richtung Meer. Das sind in 30 Jahren etwa fünf Kilometer. Irgendwann wird das Eis zu dünn.
Welche Spuren werden im ewigen Eis bleiben, wenn die Station nicht mehr genutzt wird?
Eser: Sie kann rückstandslos abgebaut werden. Anstelle der Station bleibt nur eine Mulde im Eis. Wenn man sie zuschüttet und ein, zwei Winter wartet, werden alle Spuren verschwunden sein.
Auch große Teile der Polkappen könnten bald verschwunden sein. Erlebt man die Klimawandel-Diskussion anders, wenn man im ewigen Eis war? Eser: Ich war als Techniker dort und mir fehlen etwas die wissenschaftlichen Hintergründe. Ich bin aber sicher, dass der Klimawandel stattfindet. Und ich bin überzeugt, dass wir Menschen einen großen Teil davon zu verantworten haben. Deswegen haben wir die Pflicht, Verantwortung zu übernehmen – egal, ob man die wundervolle Antarktis besuchen durfte oder nicht.
Haben Sie ein Souvenir aus dem ewigen Eis mit nach Hause genommen? Eser: Eine kleine Handvoll Pinguinfedern sind in mein Gepäck gewandert. Junge Pinguine haben sie während der Mauser vor unserer Station abgeworfen. Ansonsten ist alles Weitere in meinem Kopf – und auf der Festplatte meines Rechners.
Interview: Sarah Ritschel