Gesucht: Der neue ESC-Kandidat
An diesem Freitagabend entscheidet sich, wer Deutschland beim Eurovision Song Contest vertritt. Hinter dem Vorentscheid steht eine riesige Maschinerie
Sieben Wochen nach der Havarie des Frachters „MSC Zoe“in der Nordsee hat nordwestlich von Borkum die Bergung zertrümmerter Container begonnen. Die Arbeiten seien langwierig und könnten sich über Monate hinziehen, sagte ein Behördensprecher in Emden. Rund 45 Containerreste und Ladungsteile würden in dem Seegebiet vermutet. Insgesamt hatte die „MSC Zoe“, eines der weltweit größten Containerschiffe, am 2. Januar im Norden der niederländischen Wattenmeerinseln und vor der Insel Borkum nach letztem Stand 342 Container verloren. Von zwei Containern mit Gefahrgut fehlt nach wie vor jede Spur. Berlin „Germany – twelve points“: Seit Lenas Sieg 2010 bekamen die deutschen Teilnehmer beim Eurovision Song Contest (ESC) nur noch selten die volle Punktzahl, mehrmals landeten die Kandidaten sogar auf dem letzten oder vorletzten Platz. Um solche Blamagen zu verhindern, hatte sich der zuständige
ein hochkompliziertes System mit Expertenjurys, Workshops und Zuschauervoting ausgedacht – auf diese Art soll ein aussichtsreicher Teilnehmer gefunden werden, dessen Song ganz Europa verzückt.
Das Konzept ist aufgegangen: Der Sänger Michael Schulte landete 2018 auf einem respektablen vierten Platz, und deshalb setzt der Sender auch dieses Jahr auf das verzwickte Prozedere. In der Show „Unser Lied für Israel“entscheidet sich an die- sem Freitagabend (20.15 Uhr, wer im Mai für Deutschland zum ESC nach Tel Aviv fährt.
Die 29-jährige Lilly Among Clouds (eigentlich Elisabeth Brüchner), die 1990 in Straubing zur Welt kam und in Tauberbischofsheim lebt, bewirbt sich mit ihrem Popsong „Surprise“für das Ticket nach Israel. Die Bonnerin Makeda singt „The Day I Loved You Most“, und Gregor Hägele („Let Me Go“) aus Stuttgart ist mit seinen 18 Jahren der jüngste Kandidat. Die Sängerin BB Thomaz („Demons“) stammt aus New York, Linus Bruhn („Our City“) aus Hamburg wurde im Netz mit Justin-Bieber-Imitationen zum Star. Die 21-jährige Aly Ryan („Wear Your Love“) stammt aus Hessen, lebt aber in Los Angeles. Die Sängerinnen des Duos Sisters, Carlotta Truman aus Hannover und Laura Kästel aus Wiesbaden, sind gar keine Schwestern: Der hat die beiden dazu auserkoren, den Song „Sister“vorzutragen, den ein internationales Team gezielt für den ESC komponiert und dem Sender angeboten hatte.
Die zweistündige Show kommt live aus Berlin, Barbara Schöneberger moderiert mit „Tagesschau“-Sprecherin Linda Zervakis, der altgediente Peter Urban kommentiert. Während das Publikum abstimmt, entscheiden auch zwei Fachjurys mit, wer am 18. Mai in Tel Aviv antreten darf. Das Ziel sei es, „auch beim ESC 2019 wieder in den Top Ten zu landen“, sagt Thomas Schreiber, Unterhaltungskoordinator des Senders. Und welche Art von Song hat die besten Chancen? Schreiber meint zu wissen, wann Deutschland die Sympathien zufliegen: „Immer wenn wir klein, bescheiden, witzig, kreativ aufgetreten sind – Guildo Horn, Max Mutzke, Lena, auch Michael Schulte –, haben wir positiv abgeschnitten.“
Die sieben Acts bei „Unser Lied für Israel“haben schon ein mehrstufiges Auswahlverfahren hinter sich: Rund 1000 Kandidaten hatten sich ursprünglich beworben. Nach dem Vorentscheid entwickelten sie in einem mehrtägigen Songschreibercamp mit Textern, Komponisten und Produzenten ein Lied für ihren Auftritt, das wiederum von zwei Jurys beurteilt wurde.
Viele Musikfans sehen das aufwendige Verfahren skeptisch: Kommen so überhaupt noch Kunst und Vielfalt zum Zug? Die schrille israelische Sängerin Netta setzte beim ESC 2018 mit ihrem Lied „Toy“, einem Mix aus Kaugummipop und politischer Botschaft, auf Provokation – und gewann. Oldenburg Im Oldenburger Mordprozess gegen den früheren Krankenpfleger Niels Högel hat Richter Sebastian Bührmann nochmals eindringlich an den Angeklagten appelliert, umfänglich zu gestehen: „Es ist für die Wahrheit nie zu spät. Wir alle gieren hier nach der Wahrheit.“Bührmann verwies auf die Angehörigen der Opfer: „Wenn Sie noch irgendwas Gutes tun wollen in diesem Verfahren für die Leute, dann ist das die Wahrheit.“
Högel bestreitet, zwischen Januar und September 2002 im Klinikum Oldenburg getötet zu haben. Es waren die letzten Monate vor seinem Wechsel in das Krankenhaus Delmenhorst. Es sei nur schwer vorstellbar, dass er in dieser Zeit nicht getötet habe, sagte der Richter. Högel schwieg zu den Vorwürfen. Er soll in den Jahren 2000 bis 2005 in den Kliniken Oldenburg und Delmenhorst 100 Patienten getötet haben. Laut Anklageschrift vergiftete er seine Opfer mit Medikamenten, die zum Herzstillstand oder Kammerflimmern führten. Anschließend versuchte er, sie wiederzubeleben, um als rettender Held dazustehen. Der frühere Krankenpfleger hat im Verlauf des Prozesses, der Ende Oktober begann, 43 Mordfälle eingeräumt. Fünfmal wies er die Anschuldigungen zurück. An die anderen Patienten könne er sich nicht erinnern, sagte er. Wegen weiterer Taten verbüßt Högel bereits eine lebenslange Haftstrafe.