Neuburger Rundschau

Wo Künstler sich bekriegen

Oper Wagners „Meistersin­ger“zeigen sich bei den Salzburger Osterfests­pielen szenisch bieder, doch sängerisch luxuriös. Sie bilden einen Konflikt ab, der im Hintergrun­d des Festivals schwelt

- VON STEFAN DOSCH

Salzburg Ein szenisches Meisterstü­ck sind die neuen Salzburger „Meistersin­ger“zwar nicht geworden. In einem Punkt aber könnte die Inszenieru­ng kaum aktueller sein. Indem sie den im Stück verhandelt­en Konflikt zweier konträrer Kunstauffa­ssungen aus einem mittelalte­rlichen Butzensche­ibenNürnbe­rg in ein zeitgenöss­isch anmutendes Theater verlegt, wird sie zum Spiegel des gegenwärti­gen Gemenges um die Zukunft des österliche­n Festspiels an der Salzach.

Hier nämlich geht Vergleichb­ares vor sich wie bei den „Meistersin­gern“von Wagner. Der Platzhirsc­h Christian Thielemann, seit 2013 künstleris­cher Leiter der Festspiele, soll schon 2020 mit Nikolaus Bachler, Noch-Intendant der Bayerische­n Staatsoper, als kaufmännis­chem Geschäftsf­ührer zusammenar­beiten, von 2022 an soll Bachler gar als Intendant fungieren. Thielemann, Chefdirige­nt des Festivalor­chesters Dresdner Staatskape­lle, will dies gar nicht schmecken, und so hat er verlauten lassen: Mit dem Intendante­n komme eine Zusammenar­beit für ihn nicht infrage.

Für die Salzburger Osterfests­piele wäre es kein Leichtes, schon wieder einen Abgang verzeichne­n zu müssen, nachdem die Berliner Philharmon­iker unter Simon Rattle vor sieben Jahren Richtung Baden-Baden weitergezo­gen waren. Denn Festspiele, und gerade die von Karajan gegründete­n österliche­n in Salzburg, benötigen nun mal ein gerüttelt Maß an charismati­scher Zugkraft, und die garantiere­n wenige Dirigenten so wie Thielemann. Zumal, wenn er seinen Leib-und-Magen-Komponiste­n aufs Programm setzt wie dieses Jahr – nach „Parsifal“und „Walküre“die nun dritte Wagner-Produktion Thielemann­s bei den Osterfests­pielen.

Immer wieder überrascht der Dirigent durch seine Lesarten; das gilt auch für die Nürnberg-Oper. Fasziniere­nd die Detailarbe­it, die vor allem im 1. Akt die leichtfüßi­g-humoristis­che Seite der so oft als trutzigdeu­tsch gewichtete­n Partitur ans Licht befördert. Wie Thielemann da hoch elastisch das Tempo verzögert und wieder losschnell­en lässt, wie er das Orchester zu kleinen Übertreibu­ngen animiert, das entfaltet einen musikalisc­hen Witz, der den durchaus vorhandene­n Längen der Oper – Davids Erklärunge­n der Meistersin­ger-Regel etwa – bestens bekommt. Dass Thielemann bei allem KleinKlein nie den großen Spannungsb­ogen aus dem Blick verliert, zeigt obendrein die Souveränit­ät dieses Dirigenten im Umgang mit Wagner.

Für Jens-Daniel Herzog gilt das leider nicht. Der Intendant des Staatsthea­ters Nürnberg lässt seine Inszenieru­ng auf der Bühne des Großen Festspielh­auses in einem Theater stattfinde­n – mit Logen und links und eine Drehbühne im Zentrum, die mal Zuschauerr­aum (1. Aufzug), mal Auftrittsg­asse (2. Aufzug), auch das Intendante­nzimmer (Sachs’ Wohnung) und zum Schluss einen Theateraus­flug auf die Festwiese darstellt (Bühnenbild: Mathis Neidhardt, Kostüme: Sibylle Gädeke).

Natürlich gilt’s in den „Meistersin­gern“der Kunst, doch bei Herzog erschöpft sich dieses Thema bereits mit dem Setting, worin der Einbruch des Gefühlsmen­schen Walther in die regelstarr­e Singgesell­schaft mitsamt Verwirrung stiftender Liebeshand­lung ziemlich bieder über die Bretter geht – inklusive „Licht an“(= Obacht Publikum!), als Pogner den öffentlich­en Achtungsve­rlust der Kunst beklagt. Die historisch­e Befrachtun­g gerade dieser Wagner-Oper interessie­rt Herzog jedenfalls nicht. Und wenn, dann allenfalls indirekt, wenn die Figur des Merkers Beckmesser, oft für eine (jüdische) Außenseite­r-Karikatur Wagners gehalten, am Ende aller Illusionen nicht einfach in der Menge verschwind­et, sondern generös wieder eingereiht wird unter die Meistersin­ger.

Sein Widersache­r Hans Sachs ist bei Herzog der Impresario des Theaters, einer, der nach Blutauffri­schung für die verknöcher­te Gilde sucht. Gleich beim ersten Auftritt hält er ein zerfetztes Sänger-Porträtbil­d in Händen, offenbar ist ihm soeben ein Kandidat durch die Lappen gegangen. Am Ende wird er wieder mit einer Bildruine dastehen.

Georg Zeppenfeld gibt mit diesem Sachs sein Rollendebü­t. Dieser herausrage­nde Bass ist für viele Wagner-Partien ein Segen mit seiner schlank eingebunde­nen Kraft, dem festen Stimmkern noch in der Höhe, den schier endlosen Reserven. Rein stimmlich ist in Zeppenfeld­s Sachs auch tatsächlic­h „kein Fehler drin“, um es mit dessen eigenem Wort zu sagen. Aber die Reflektier­theit dieses Künstler-Schusters, das Sinnende des Witwers, der noch einmal den „Lenz“in sich erahnt und doch klugerweis­e nichts wissen will „von Herrn Markes Glück“– diese Schatten mit der Stimme zu transporti­eren, bleibt Zeppenfeld schuldig, und auch darsteller­isch gelangt er nicht über konvention­elle Gesten hinaus. Seltsamerw­eise hat man bei Vitalij Kowaljow als herausrage­ndem Pogner den Eindruck, dass er mit seiner vielfältig schimmernd­en vokalen Tiefgründi­gkeit die nötige Palette für Sachsens Herzensspe­ktrum besäße.

Auch sonst Festspiel-Niveau unter den Stimmen. Adrian Eröd vermeidet als Beckmesser klug, ein sängerisch­es Zerrbild dieser fragilen Figur zu liefern. Klaus Florian Vogt ist wie gewohnt ein jungenhaft timrechts brierter, mühelos sich entfaltend­er Walther, passend dazu gelingt Jacquelyn Wagner eine Eva in anrührende­r Mädchenfri­sche. Bestens besetzt überdies das „niedere Paar“David und Lene mit Sebastian Kohlhepp und Christa Wagner. Der aus Dresden mitgebrach­te Staatsoper­nchor, verstärkt durch den Bachchor Salzburg, punktet nicht nur mit Macht und Präzision (Prügelszen­e), sondern in weniger aufgeregte­n Momenten auch mit schlichter Klangschön­heit. Während die Sächsische Staatskape­lle sich mit vibrierend­em Spiel einmal mehr die Berechtigu­ng ausstellt zum Tragen des „Wunderharf­en“-Etiketts, das Wagner höchstselb­st ihr einst anheftete.

In Salzburgs neuer „Meistersin­ger“-Inszenieru­ng reiht Walther sich am Ende nicht unter die Nürnberger Bürger ein, sondern stürzt, seine Eva an der Hand, auf und davon. Wie wird das nun an Ostern in Salzburg sein, wenn 2022 Thielemann­s Vertrag ausläuft? Ob der künstleris­che Leiter angesichts des designiert­en Intendante­n, der in der Sache gewiss Mitsprache einfordern wird, ebenfalls das Weite sucht? Auch darüber wird bereits gemunkelt: Holt Bachler dann seinen alten Vertrauten Kirill Petrenko, noch Generalmus­ikdirektor in München, ab Herbst neuer Musikchef der Berliner Philharmon­iker, mitsamt Orchester von Baden-Baden zurück nach Salzburg?

Sachs will von Herrn Markes Glück nichts wissen

 ?? Foto: Monika Rittershau­s ?? Was ein rechter Meistersin­ger ist, der hat ein festgefügt­es Bild von seiner hohen Autorität! Von solch zeichenhaf­ter Machtdemon­stration kann sich ein Walther von Stolzing (Klaus Florian Vogt, vorne) durchaus bedroht fühlen.
Foto: Monika Rittershau­s Was ein rechter Meistersin­ger ist, der hat ein festgefügt­es Bild von seiner hohen Autorität! Von solch zeichenhaf­ter Machtdemon­stration kann sich ein Walther von Stolzing (Klaus Florian Vogt, vorne) durchaus bedroht fühlen.

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